Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Anna von Tegelstein

Eine halbe Stunde von Lindau, zwischen Bad Schachen und Wasserburg, befindet sich jener der Familie Gruber gehörige und von dem Gärtner Junghänel angelegte Garten, in dem noch die Überreste, d. h. Unterstock nebst Graben, der alten Burg Tegelstein zu sehen sind. Diese Burg war bis zum Ende der dreißiger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts wohl erhalten, zwei Stockwerke hoch, dicht von Efeu überwachsen, mit einer kleinen Zugbrücke versehen und rings vom Wasser umflossen, das mit dem Bodensee in Verbindung stand. Das Stiegenhaus befand sich auf der südlichen Seite der Burg in einem runden Türmchen.

Nördlich von dem Überrest dieser kleinen Burg befindet sich auf einige Schritte Entfernung der Burgstall mit noch einigen Ökonomiegebäuden. Der Burgstall selbst steht größtenteils noch, wird als Gewächshaus verwendet und durch rote Fenstereinfassungen verunziert.

Von der Burg steht, wie gesagt nur mehr der untere Teil, denn alles andere wurde auf Wunsch des verstorbenen und in diesem Garten beerdigten Herrn Gruber entfernt und abgebrochen, weil er es für unpassend hielt, daß in einem Park eine noch erhaltene Burg stünde. Der freilich damals ganz versumpfte und mit Schilf angefüllte Wassergraben wurde wieder gereinigt und einigen Schwänen zum Aufenthalt angewiesen. Die der ehemaligen Zugbrücke zunächst angebrachten Trauerweiden deuten sinnig auf den neuerungssüchtigen Abbruch dieser alten Zierde der Gegend hin. Von der Burg hat sich auch noch folgende Sage im Munde des Volkes erhalten.

In grauer Vorzeit lebte hier eine Witwe, die Freifrau Anna von Tegelstein, mit einem Sohn und drei gar lieblichen, erwachsenen Töchtern. Die Mutter war in hohem Grad adelsstolz, meinte, der Mensch fange erst beim Freiherrn an, und vergönnte den armen und unbemittelten Leuten kaum die Luft zum Atmen. Eines Tages kam auf die Burg eine Pächtersfrau in Trauer gekleidet und sprach zu der Edelfrau: »Gnädige Frau, meine einzige Tochter ist gestorben, sie zählte erst achtzehn Jahre und war die ganze Freude meines Lebens. Ich möchte wohl um ihre schwarzen Locken einen Kranz von weißen Rosen flechten, da sie doch eine Braut des Himmels geworden ist; erlaubt also, daß ich mir welche in Eurem Garten hole, wo sie so schön blühen.«

»Du magst einen Kranz von Brennesseln für deinen elenden Balg binden«, fuhr die hoffärtige Frau sie an; »Rosen geziemen sich nicht für Bettelvolk, die sind nur für unseresgleichen!«

»Nun, so mögen denn Eure Rosen zu Totenkränzen für Eure Töchter werden!« sprach die Pächterin entrüstet und verließ augenblicklich das Schloß.

Der Fluch ging in Erfüllung. Die drei Töchter der Edelfrau starben binnen einem Jahr, und jede trug im Sarg einen Kranz von weißen Rosen um das Haupt. Damit sollten aber die Leiden der stolzen Witwe noch nicht zu Ende sein, denn nach der Volkssage sah man, wenn der Tod eines weiblichen Abkömmlings der Familie Tegelstein bevorstand, die Frau Anna gegen Mitternacht im Garten sitzen und einen Kranz von weißen Rosen flechten.

Später kam das Schlößchen an die Familie Motz von Kempten, die es vom Kloster St. Gallen zu Lehen hatte.

 


 


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