Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die Goldkapelle am Epprechtstein

Von Hermann Zapf.

 

                  Es ging ein Weib in den tiefen Wald
Nach Beeren im Gebüsch und Felsenspalt,
Sie hatt' auf dem Arme ein schönes Kind,
Das koste sie oft, sie beide der Wind. –
    Mutter, wie fliehet dein Glück geschwind!

Und wie sie pflücket, da glänzt heraus
Im Dickicht ein offenes Gotteshaus,
Und viele Goldhaufen und Edelstein'
Locken sie schimmernd zu sich hinein. –
    O traue, folge nicht falschem Schein!

Da stürzte hinein das törichte Weib
Und tat ihr Kleinod von ihrem Leib
Und raffte mit Schätzen die Schürze voll
Und lief durch den Wald nach Haus wie toll. –
    Wo hast du dein Kindlein, so schönheitsvoll?

Und freudetrunken wirft sie zu Haus
Gold und Demanten zu Haufen heraus
Und labt die Augen an dieser Pracht,
Schön wie Sterngefunkel zur Nacht. –
    Der schönste Demant dir wohl nimmer lacht!

Da dämmert's in ihrem Herzen alsbald,
Sie rast zurück in den düstern Wald,
Da war zu finden kein Gotteshaus,
Da lachte kein lallendes Kind heraus. –
    Tröste dich bei deinem Golde zu Haus!

Weit schaltet im Walde ihr Jammerton:
»Gebt mir meines Lebens Lust und Kron',
Was kann mir ersetzen mein Kind in der Welt,
Da mir sind meine Tage vergällt?«
    Und spottend antwortet der Wald ihr: »Geld!«

Am Johannistag öffnete sich die geheime Tür dieser Kirche. Als nun der nächste Johannistag kam, erzählt man weiter, da eilte die arme Mutter abermals der Goldkapelle zu; sie überschreitet die Schwelle, und ein Freudenschrei entfährt ihrer Brust: ihr Knäblein, lebend und wohlgenährt, lacht ihr vom Altar der Kirche, auf den sie es vor einem Jahr gesetzt hatte, entgegen. Hastig ergreift sie die teure Last und eilt hinaus, ohne weiter nach Gold zu fragen.

 


 


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