Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die gerettete Unschuld

Der Ruf vandalischer Grausamkeit ging den Schweden schon voraus, und das Geschrei: »Die Schweden kommen«, war hinreichend, ganze Ortschaften zu entvölkern. Alles, was gesunde Füße hatte, suchte sein Heil in der Flucht. Nur schwache Greise, kleine Kinder und kranke Personen waren die Zurückgebliebenen, gegen die die Schweden um so grausamer verfuhren, da sie die einzigen Opfer ihrer Rache waren.

Es lebte damals in Wertingen eine Jungfrau, die, schön wie der Frühling, ihre Eltern über alles liebte. Mit Schrecken und böser Ahnung hatte sie oft von den Grausamkeiten der Schweden in anderen Ländern gehört, wie Jungfrauen von ihren Eltern gerissen und schmachvoller Entehrung preisgegeben wurden, und diese Gedanken hatten in stiller Nacht oft schon ihre Augen mit Tränen der Furcht gefüllt.

Ihre Befürchtungen waren leider nicht ohne Grund, denn auch in Wertingen ertönte eines Tages der Ruf: »Die Schweden kommen.« Wie ein elektrischer Schlag wirkte dieser Ruf auf alle. Man raffte in aller Eile das Notwendigste zusammen, und der Wald wurde als vorläufiges Asyl gesucht. Das Schreien der Kinder, das Händeringen der Mütter mag wohl manchem Vater das Herz durchschnitten haben.

Auch unsere Jungfrau war mit dem Zusammenraffen des Notwendigsten beschäftigt, nahm still unter Tränen von ihrem elterlichen Haus Abschied und schloß sich mit ihren Habseligkeiten einem Zug an, indem sie glaubte, ihre Eltern befänden sich bei den vorauseilenden Haufen. Im Wald begegnete man sich gegenseitig – und wer malt den Schrecken des Mädchens, als sie nirgends ihre Eltern finden konnte. Endlich erfuhr sie, daß sie jenseits des Tals dem Wald zugeeilt seien. Der erste Schmerz war der schrecklichste; sie konnte nicht weinen.

Man hatte sich bei der Ankunft der Schweden tiefer in den Wald zurückgezogen, und mehrere Wochen vergingen ohne Gefahr. Oft ging die Jungfrau in stiller Nacht aus ihrem Versteck hervor, dem Hügel zu und schaute so wehmütig über das Tal hinüber nach dem Wald, der ihr Teuerstes – ihre Eltern – barg. Weder der kalte Nachtzug noch die Unsicherheit der Gegend hielten sie von diesem nächtlichen Besuch ab. Wenn sie sich dann ausgeweint hatte und dem Mond, der soeben über das Tal dem Wald zu zog, viele Grüße an ihre Eltern mitgegeben hatte, eilte sie mit nassem Blick wieder dem Wald zu. Doch auch dieser Trost wurde ihr entzogen, da die Gegend immer unsicherer wurde.

Das war für die kindliche Liebe der Jungfrau zuviel. Sie entschloß sich, lieber zu sterben, als länger über das Schicksal ihrer Eltern ungewiß zu sein und von ihnen getrennt zu leben. Es war mondhelle Nacht, als das kühne Mädchen aus dem Wald hervoreilte und mit scheuem Blick in der Gegend umherspähte, ob sie nichts entdecken könnte; und als ihr Auge nichts sah, ging sie, sich Gott empfehlend, flüchtigen Schrittes wieder weiter. Es war ihr so bang ums Herz, und gern hätte sie weinen mögen, hätte es die Angst ihr zugelassen. Doch fühlte sie sich wieder gestärkt, als sie sich vor einem Feldkreuz, das am Weg stand, niedergeworfen und recht innig gebetet hatte.

Sie konnte jetzt das ganze Tal übersehen.

Viele Wachtfeuer waren um Wertingen herum angezündet, und um diese waren Truppen gelagert, deren wilder Gesang weit in der Gegend herum gehört wurde. Eine nie gefühlte Angst bemächtigte sich ihrer, als sie die Anhöhe herunterstieg, denn jedes Gesträuch sah sie für Feinde an, und an dem Rauschen ihres eigenen Kleides glaubte sie den Tritt eines Schweden zu hören.

Glücklich war sie in das Tal gelangt, und feuriger schlug ihre Brust bei dem Gedanken, daß sie jetzt ihre Eltern bald wiedersehen werde. Aber plötzlich gebot hinter ihr eine rauhe Stimme: »Halt.« Unwillkürlich sah sie um und erblickte einen hochstämmigen Schweden hinter ihr, dessen blanke Rüstung beim Schein des Mondes hell glänzte. Entkräftet sank sie auf den Boden, als sie sich verraten sah, und schon glaubte sie das Schwert in ihrem Herzen zu fühlen, schon das warme Blut auf den Boden fließen zu hören.

Aber wie erstaunte das unschuldige Mädchen, als er sie freundlich umfaßte und so schön mit ihr tat, als wäre er ihr eigener Bruder. Bald hätte sie ihn als ihren Retter begrüßt, bald ihn ersucht, sie bis an jenen Wald hin zu führen und zu schützen – da erwachte in ihr plötzlich der Gedanke an ihre gefährdete Tugend, und dieser Gedanke gab der schwachen Jungfrau wieder Kraft und Mut. Sie entwand sich schnell seinen umschlingenden Armen und flog eilends davon.

Der getäuschte Schwede schäumte vor Wut und stürzte ihr mit gezogenem Schwert nach. »Willst du das Opfer meiner Lust nicht werden, so bist du als Opfer meiner Rache mir gewiß«, dachte der wilde Krieger in seinem Herzen.

Die Angst lieh indes dem Mädchen Flügel, und schon war sie ihm um vieles voraus, als sie plötzlich am Ufer der Zusam stand und nirgends eine rettende Brücke sah; denn in der Eile hatte sie den Weg verfehlt. Da warf sich das fromme Mädchen auf die Knie nieder, und vertrauensvoll ihre Augen zum Himmel erhebend und ihre Hände faltend flehte sie zur Himmelskönigin, wenn nicht um Rettung ihres Lebens, doch um Rettung ihrer Tugend – und die himmlische Jungfrau erhörte sie. – Ein überirdischer Glanz verbreitete sich um sie, und von sanfter Hand fühlte sie sich hinübergetragen ans jenseitige Ufer der Zusam.

Geblendet vom himmlischen Glanz vermochte sie erst nach einiger Zeit die Augen wieder aufzuschlagen, und erst jetzt sah sie, was mit ihr vorgegangen war. Im Gefühl der Andacht und des wärmsten Dankes fiel sie wieder auf die Erde und dankte inbrünstig für ihre Rettung. Bald war sie nun im Wald, wo sie ihre hartgeprüften Eltern, die sie schon als tot beweinten, wiederfand. Der schwedische Soldat wurde von seinen Kameraden am nächsten Tag am Ufer der Zusam tot liegend gefunden.

An der St.-Michaels-Kirche auf dem Friedhof zu Wertingen ist die Begebenheit in einem Bild wiedergegeben, wie ein Engel die Jungfrau über die Zusam hinüberführt und wie der Schwede vernichtet am jenseitigen Ufer steht.

 


 


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