Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Das Marienbild zu Ingolstadt (1)

        Sie halten heilige Messe
Im Dom zu Ingolstadt;
Sie bitten vom himmlischen Helfer,
Was jeder zu bitten hat.

Es dampfen die Opferschalen,
Die Kerzen am Hochaltar.
Dort steht der greise Priester
Und fleht für seine Schar.

Einsam am letzten Pfeiler
Kniet eine Beterin
Und wendet zum steinernen Bilde
Die Augen in Tränen hin.

»Du heil'ge Mutter Gottes,
Du Mittlerin bei Gott,
Wollst gnädig niederschauen
Auf meine Angst und Not.

Daheim im öden Stüblein
Mein krankes Söhnchen ruht;
Wenn du nicht rettest, Maria,
Verzehrt ihn des Fiebers Glut.

Der Vater ist gestorben;
Nimmst du mir auch das Kind,
So kann ich fürder nicht leben;
Ach, sei mir gnädig gesinnt!

Du heil'ge Gottesmutter,
So öffne nur den Mund,
Und laß mich, laß mich hören:
›Dein Knäblein ist gesund!‹« –

Die steinerne Maria
Beweget nicht den Mund;
Die arme, verlass'ne Mutter
Ringt sich die Hände wund.

Doch jetzt – es blitzt ihr Auge,
Sie geht – o Gott, erbarm –
Und nimmt der heiligen Jungfrau
Das Jesulein vom Arm

Und trägt's in einen Winkel
Und kehret ernst zurück
Und spricht mit dumpfer Stimme
Und spricht mit trübem Blick:

»Du harte Mutter Gottes,
Jetzt fühle, wie es schmerzt,
Wenn wir das Kindlein verlieren,
Das wir so süß geherzt!« –

Entsetzen erfaßt die Gemeinde;
Sie sammeln sich um das Bild
Und ergreifen die Frevlerin bebend,
Der schaut das Auge so wild.

Doch Wunder, heil'ges Wunder!
Das Marmorbild sich regt
Und lächelt, als in die Arme
Das Jesulein man ihm legt.

Die arme Mutter betet,
Maria öffnet den Mund –
Das Knäblein kommt gesprungen:
»Lieb' Mutter, ich bin gesund!«

 


 


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