Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Marienburg

Stilla, Rapoto und Konrad, drei Kinder des edlen Grafen Wolfram II. von Abenberg, hatten jedes einen Wunsch. Erstere, daß die Kapelle, die sie unfern Abenberg bauen ließ, und die beiden anderen, daß das Kloster in Heilsbrunn, das sie stiften halfen, bald vollendet dastehen möchte. Im Jahre 1152 wurde der Bau dieses Klosters beendet, und schon ein Jahr früher stand Stillas Kapelle. Bischof Otto von Bamberg (aus dem Hause der Grafen von Andechs) weihte die Kapelle zur Ehre St. Peters und erhielt von Stilla das Versprechen ewiger Keuschheit. Von nun an sah man Stilla täglich hinabgehen zum neuen Gotteshaus, ihre Andacht dort zu verrichten. Es wurde ihr so teuer, daß der Wunsch, auch noch ein Kloster dort zu erbauen, in ihrer Seele entstand. Leider wurde dieser Wunsch zu Stillas Lebzeiten nicht erfüllt.

Die fromme Gräfin ging nie allein zu ihrem geliebten Andachtsort, sondern immer war sie, in frommer Rede sich unterhaltend, von ihren Kammerfrauen Gewehra, Widikuna und Winterbring geleitet. Einstmals verließ Stilla mit ihrem weiblichen Gefolge wieder die Kirche, ernst und wehmütig gestimmt. Tod und Grab waren der traurige Inhalt ihrer Unterhaltung, in deren Lauf die Genossinnen den aufrichtigen Wunsch äußerten, daß Gott noch lange den Augenblick fernhalten möge, wo Stillas irdische Hülle in dem von Rapoto und Konrad gestifteten Kloster ruhen würde.

»In Heilsbrunn?« fragte Stilla. »Das kann nicht geschehen!« Und so gingen sie schweigend vollends den Burgberg hinauf. »Nicht wahr«, sprach Stilla, »ihr lieben Jungfrauen, ihr versprecht mir getreu und fest zu halten, um was ich euch jetzt bitten werde?« Feierlich gelobten die Mädchen, daß ihnen der Wille ihrer Gebieterin heilig sein werde. »Nun seht«, sprach jene und streifte den Handschuh von der schönen Hand: »Wohin jetzt die Winde diesen Handschuh tragen werden, dort und nur dort will ich einst begraben sein.«

Und der über die Burgzinne hinausgestreckten Hand entflog der Handschuh. Wie eine weiße Taube wurde er von den Winden dahingetragen und sank bei der Kapelle nieder.

»Ja, so sei es«, rief Stilla entzückt über die so heiß erflehte Erfüllung ihres innigen Wunsches. »Dort, wo ich mir so oft Ruhe erflehte und Trost, dort in jener Kapelle will ich einstens ausruhen von diesem Leben und harren auf den Ruf des Herrn zur Ewigkeit. Daß dieser mein Wille erfüllt werde, darauf, Freundinnen, darauf seid eures Versprechens eingedenk, wenn euch meine Ruhe im Grab lieb ist.«

Stilla starb, und ihre Leiche sollte, so beschlossen die Ihrigen, im Kloster zu Heilsbrunn beigesetzt werden. Da erinnerten sich Gewehra, Widikuna und Winterbring an Stillas Wunsch und an ihr eigenes Versprechen. Jetzt baten sie unverzüglich um Gehör beim gräflichen Familienrat, dem sie erzählten, was sie von Stilla gehört, von der Burgzinne aus gesehen und dort gelobt hatten, und baten flehentlich, Stilla in ihrer Kapelle ruhen zu lassen. Darauf einzugehen war man nicht geneigt – und doch trug man Bedenken, Stillas Letzten Willen zu verachten. Gott möge entscheiden, war der Beschluß.

Jammernd und weinend standen am nächsten Tag am frühen Morgen die Armen der ganzen Umgegend vor der Burg Abenberg, die Leiche Stillas, ihrer Wohltäterin, erwartend, die von ihren treuen Freundinnen auf einen stattlichen Wagen gehoben wurde. Mit zwei glänzendweißen Stieren wurde dieser bespannt, und wohin jene die Leiche bringen würden, da sollte sie begraben werden. Niemand dürfte, so war bedungen, die Tiere leiten oder antreiben.

Kaum war die Leiche auf dem Wagen, so zog das Gespann und führte diesen langsamen Schrittes zur Kapelle hin, wo es stehenblieb. »Gott hat entschieden!« rief das Gefolge, und Stillas Leichnam wurde nun der von ihr erbauten Kapelle übergeben.

Still ruhte Stilla in der dunklen Gruft, bei der mannigfache Wunder geschehen sein wollen und die deswegen von zahlreichen Wallfahrten andächtiger Christen besucht worden ist. Bischof Raimbotto von Eichstätt weihte den Altar in der Kapelle zu Ehren der heiligen Stilla, und Bischof Wilhelm von Reichenau erbaute 1488 an der Stelle der Kapelle ein Frauenkloster, Marienburg genannt, gewidmet dem Augustinerorden. So wurde auch dieser im Leben oft gehegte Wunsch Stillas erfüllt. Noch heutigen Tages, erzählt man, sieht man ihr erhöhtes Grab linker Hand beim Eingang in die Klosterkirche.

 


 


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