Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die Allerseelenmesse bei St. Lorenz

Zu Nürnberg war eine Jungfrau namens Gertraud Stromer, die war einem reichen Patrizier wohl geneigt, so daß ihr ganzes Herz an ihm hing. Weil sie's aber verhehlte, heiratete den ihre beste Freundin. Darüber brach der Gertraud aller Lebensmut, der Patrizier starb auch nach kurzer Ehe, und die Gertraud überlebte ihn nicht lange.

Als man nun 1430 zählte, machte sich am Allerseelensonntag des Patriziers junge Witwe, Frau Imhof, früh auf und wollte zu St. Lorenz die Frühmesse hören. Da sie in die Kirche kam und eine Weile in ihrem Kirchstuhl saß, wurde ihr plötzlich ganz sonderlich zumute. Denn wo sie hinsah, dünkte ihr, daß sie keine heutigen Gesichter erblicken und alle Menschen und die Geistlichen an den Altären seien vor langer Zeit verstorben.

Wie sie nun darüber in tausend Zweifeln war, gedachte sie sich zu erkundigen, trat zitternd aus dem Kirchstuhl, wandte sich an eine Jungfrau, die einem Altar zugewandt war, und klopfte ihr leise auf die Schulter. Als sich diese gegen sie kehrte, erkannte die Imhof ihre beste Freundin, die vor drei Wochen gestorben war. Da trat ihr's eiskalt ans Herz. Die Verstorbene aber sagte: »Gevatterin, wenn man zur Wandlung läutet, hebt Euch ehest aus der Kirche, sonst ist's auch um Euer Leben geschehen. Ihr habt mir wohl das Herz gebrochen, ich aber hab' Euch verziehen.«

Hierauf eilte Frau Imhof sogleich hinaus, es dünkte ihr aber, als eilten ihr eine ganze Menge Menschen nach und als hielten sie etliche am Mantel fest. Da ließ sie ihn im Stich und floh nach Hause und wurde sterbenskrank, daß sie schon die heilige Wegzehrung bekam. Doch kam sie wieder davon, hatte aber alle Lust zur Welt verloren und ging in das St.-Klara-Kloster. Da lebte sie noch etliche Jahre. Dann starb sie früh am Allerseelentag.

 


 


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