Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der lange Zecher

Von B. Görwitz

              Am Markte zu Hof war seit etlichen Tagen
Ein wunderbarlicher Brief angeschlagen,
Drin stand: »Ihr Wohlehrbaren, Getreuen
Von Hof, hört mich, es soll Euch nicht reuen;
Ich komme zum künftigen Sonntagmittag
In Euere Stadt und will gemach
Mich als Gast an Euerer Großmut ergötzen
Und meine durstige Kehle letzen;
Drum stehet in jeglichem Fenster droben,
Das sich bis zum ersten Gaden[Stock] erhoben,
Eine Kandel kräftig Gebräu heraus,
Ich geh' dann vorbei und trink' sie aus!«

Die wackeren Nachbarn befolgten sofort
Die seltsame Vorschrift Wort für Wort. –
Der Tag und die Mittagsstunde war da,
Und richtig – noch ehe man sich's versah,
Kam ein schlanker Gesell die Straße daher –
Einen solchen Riesen gab's nicht mehr!
Er schaute beim hellen Sonnenschein
Zum ersten Gaden gerade hinein
Und brachte die Kandeln bequem sich zum Mund
Und leert' sie der Reihe nach bis auf den Grund
Und tat das noch einmal und abermals wieder
Die Straße wandelnd auf und nieder.
Drauf rückt' er sein Hütlein, und mit Behagen
Spaziert' er noch über zwei Fuhrmannswagen,
Dann ließ er den Hofern in Gruß und Blick
Des »langen Zechers« Verheißung zurück.

Man hat noch die Läng' von sotanen Riesen
Durch ein Zeichen im Mittelgäßlein erwiesen;
Auch treibt man das Zechen noch jetzund ins Weite –
Geht's nicht in die Länge, so geht's in die Breite!

 


 


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