Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der Feilenhauer von Weißdorf

Zu Weißdorf wohnte vorzeiten ein Mann, der in seiner Jugend das Feilenhauen erlernt hatte, später aber dieses Geschäft aufgab und sich dem Geisterbannen widmete. Zu seiner Zeit waren die Gespenstererscheinungen an der Tagesordnung; kaum hatte jemand, der nicht sonderlich gut angeschrieben stand, die Augen im Tod geschlossen, so war ein Wiederkommen so gut als entschieden. Noch vor dem Begräbnistag fing in seinem Haus ein Poltergeist an zu rumoren, der ganze Ortschaften in Bewegung setzte und jede Nacht eine andere Albernheit anrichtete. Wer nun genötigt war, in dergleichen Notfällen einen Helfersmann aufzusuchen, der nahm seine Zuflucht zu dem alten Feilenhauer.

Dieser, ein langer, hagerer Mann mit zerlumpten Kleidern und einem Ranzensack auf dem Rücken, zog von Ort zu Ort und leistete Hilfe. Sobald er irgendwo eintrat, wußte auch jedermann, was seine Gegenwart zu bedeuten habe. Dann war der Feilenhauer ein Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit, und die Schenke, wo er einzukehren pflegte, wurde an jenem Tag häufiger besucht.

Gefürchtet war er von Jungen und Alten. Noch mehr aber als die Menschen hatten die Poltergeister vor dem Mann Respekt. Der ungestümste Dämon kam auf einen Wink des Feilenhauers demütig herbei und kroch in den vorgehaltenen Ranzensack.

Das gewöhnliche Schicksal der eingefangenen Gäste bestand darin, daß sie nach Waldstein verbannt wurden, um in dieser furchtbaren Einsamkeit Ordnung und Eingezogenheit zu lernen. Dort standen sie unter strenger Manneszucht. Wer von ihnen sich eines Vergehens schuldig machte, wurde exemplarisch bestraft. Doch um einigermaßen die ewige Langeweile zu mildern, erlaubte ihnen der Feilenhauer das Kartenspiel und verfertigte dazu selbst die eisernen Karten. Der einem Tisch ähnliche Stein im Burghof zu Waldstein war der Platz, wo die Geistergesellschaft diesem Zeitvertreib huldigte; die Spuren der eisernen Kartenblätter kann man darauf noch jetzt erkennen.

 


 


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