Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die Toten streiten

Die Sage gehört der Inngegend zwischen Rosenheim und Wasserburg an. Eine bestimmte Örtlichkeit war nicht zu ermitteln. Sie lebt auch sonst in Deutschland und ist von Dichtern mehrfach bearbeitet worden.

Es war einmal ein frommer und tapferer Rittersmann, der hatte die schöne Gewohnheit, bei jedem Kirchlein, das an der Straße lag, sein Roß anzubinden und einen Augenblick des Gebetes zu pflegen. Desgleichen ritt er auch niemals an einem Friedhof vorüber, ohne vom Pferd zu steigen, auf den Boden zu knien und fünf fromme Vaterunser und Ave für die armen Seelen zu sprechen. Das segnete ihm unser Herrgott mit Gesundheit und gutem Glück und rühmlichen Heldentaten, die er in manchem Krieg für die gerechte Sache vollbrachte.

Nun geschah es zu einer Zeit, da ritt unser Held noch spät in der Nacht seines Weges. Ringsum war alles still, der Mond beleuchtete die weiße Mauer eines Friedhofs, wo unser Rittersmann schon oftmals angehalten und seine Gebetlein für die armen Seelen verrichtet hatte. Auch diesmal wollte er nicht vorüberziehen, stieg von seinem Rößlein und kniete unter einer alten Linde auf dem Friedhof nieder. In demselben Augenblick hört er ein Geflüster, und eine Rotte verwegener Räuber stürzt hinter der Mauer hervor. Kaum hatte er Zeit, sich aufzuraffen und nach seiner Waffe zu greifen. So tapfer er sich nun wehrte, war es doch unmöglich, gegen so viele den Kampf zu bestehen; noch ein Augenblick, und er war verloren.

Doch siehe – da öffnen sich die Gräber vor seinen Augen, Gerippe über Gerippe steigen empor, schwingen Sensen und fliegen im Sturmschritt wie zur Schlacht einher. Entsetzen überfiel die Räuber; kaum fanden sie Zeit, über die Mauer des Kirchhofs zu entrinnen. Unser treuer Rittersmann war gerettet.

Mit den Feinden aber waren auch die Freunde verschwunden. Still und friedsam ruhten die Gräber wie zuvor; da betete der Ritter abermals seine fünf Vaterunser und fünf Ave und ritt getrosten Mutes von dannen.

 


 


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