Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der Pfleger von Mitterfels

Erzählt von Adalbert Müller. – Zu der in jener Gegend verbreiteten Volkssage hat der Erzähler nur den Namen einer bestimmten Örtlichkeit hinzugefügt.

Der Pfleger von Mitterfels war, was man zu seiner Zeit einen exakten Beamten nannte. Er hielt die Bauern so in Respekt, daß sie schon vor dem Schatten seiner Hutfeder zitterten, und wußte aus einem leeren Büchsenranzen noch Fett zu pressen. In seinem weitläufigen Gerichtsbezirk gab es keinen einzigen schlechten Zahler, denn der Ärmste trachtete schon vor dem Termin die Abgaben zu entrichten und verkaufte lieber seine letzte Kuh, ehe er sich die Schergen des Pflegers ins Haus kommen ließ.

Besonders aber war der »gestrenge Herr« der Schrecken jener, die in betreff des siebenten Gebotes oder wie sonst in Criminalibus sich nicht ganz sauber wußten. »Fiat justitia et pereat mundus!« lautete sein Wahlspruch. Die Carolina war eigentlich sein Steckenpferd, und er hielt sie höher als die Bibel. Um seinen Scharfsinn und seine Geübtheit in Anwendung ihrer blutigen Satzungen der Welt augenfällig machen zu können, spürte er rastlos nach Malefikanten und eilte, jedem nur etwas Verdächtigen einen Prozeß an den Hals zu werfen. Wen sein Richtereifer sich einmal zum Gegenstand ausersehen hatte, der kam schwer wieder los; denn in der Kunst, die Inquisiten beim Verhör in Widersprüche zu verwickeln und die Starrsinnigen durch die »scharfe Frage« zum Geständnisse zu bringen, tat es dem Pfleger von Mitterfels keiner im Lande zuvor.

»Ich habe einen Beichtstuhl, in dem nicht die kleinste Sünde verschwiegen bleibt«, äußerte er manchmal scherzweise gegen seine Bekannten. Es war aber dieser »Beichtstuhl« eines der gefürchtetsten Folterwerkzeuge. Nichts glich der Selbstzufriedenheit dieses Mannes, wenn er aus irgendeinem alten Weib eine Hexe oder aus einem müßigen Landstreicher einen Straßenräuber heraustorquiert hatte. Infolgedessen hingen an den Galgen seines Amtssprengels mehr Armesünder als in den Schloten der Bauern Speckseiten, und die Richtstätte wurde nimmer trocken vom Blut der »Geputzten«.

Es lebte damals zu Haibach eine junge Dirne, die sich Anna Osterkorn schrieb. Sie war lieblich wie ein heiterer Frühlingsmorgen und hatte just soviel Mutterwitz, als ein Mädchen, wie man zu sagen pflegt, ins Haus braucht. Den einzigen Vorwurf konnte man ihr machen, daß sie dem Gekose der jungen Burschen ein zu williges Ohr lieh. Heute war es Kaspar, morgen Melchior und übermorgen Balthasar, dem die leicht zu Überredende das Herz öffnete; und dieser Flatterhaftigkeit war es beizumessen, daß Nani eben nicht im Ruf einer Heiligen stand.

In der letzten Zeit galt Georg, der Jäger des Gutsherrn von Haibach, als der Hahn im Korb. Er behauptete seinen Posten dauernder als irgendeiner seiner Vorgänger, sei es, weil er in der Tat der schmuckste Junge weit und breit war, oder weil Nani endlich im Ernst daran dachte, unter die Haube zu kommen. Während der lauen Sommerabende gingen die Verliebten – Georg sein Schätzchen zärtlich am kleinen Finger führend – durch die Fluren spazieren, und als der Winter kam und die Nächte kalt, sehr kalt wurden, wie hätte es da das gutmütige Geschöpf verwinden können, den Mann ihres Herzens draußen im knarrenden Schnee frieren zu lassen?

Zudem hatte Georg das Mädchen bereits vor allen Leuten als seine Verlobte erklärt und dadurch – nach den Begriffen des Landvolkes – das Recht erworben, auf vertrauterem Fuß mit ihr zu leben. Die Hochzeit schob sich jedoch länger hinaus, als es dem Pärchen lieb war, denn dem Jäger wollte es nicht gelingen, so bald eine einträglichere Stelle zu bekommen, und Nani hatte von der Welt Gottes nichts als ihr hübsches Lärvchen und eine halbverfallene Hütte, die sie von ihren früh verstorbenen Eltern, armen Taglöhnersleuten, geerbt hatte.

Ein Jahr oder darüber, nachdem sich die Bekanntschaft zwischen den beiden angesponnen hatte, segnete der reiche Bauer im Ried das Zeitliche, und der Totengräber ging an einem nebligen Herbstmorgen auf den Friedhof hinaus, dem Hingeschiedenen das Grab zu bereiten. Zu seinem Ärger fand er in einem abgelegenen Winkel den Rasen frisch aufgewühlt, und als er mit dem Spaten sondierte, um etwa draufzukommen, wer ihm da freventlich ins Handwerk gepfuscht habe, stieß er auf die Leiche eines neugeborenen Knäbleins. Das Kind war in ein reinliches Stück Leinwand gewickelt und zeigte äußerlich nicht die geringste Spur einer Verletzung; aber die heimliche Beerdigung mußte notwendig auf den Gedanken führen, es sei mit dem armen Würmlein nicht mit rechten Dingen zugegangen. Voll Entsetzen eilte der Totengräber, von seinem Fund im Pfarrhof Anzeige zu machen.

Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Dorf. Bald war die halbe Gemeinde auf dem Gottesacker versammelt, und einer fragte den anderen, wer wohl das getan haben möge. Im Kreis einiger frommer Betschwestern flüsterte es den Namen Nanis, und wie wenn man der Meute einen Knochen hinwirft, so fiel jetzt alles über den Leumund der Verdächtigen her und suchte, was daran noch gut war, abzunagen. Der wußte dies und jener das zu ihrem Nachteil vorzubringen, und die Weiber fragten, ob denn die ganze Männerwelt blind gewesen sei, daß sie die Veränderung nicht merkte, die mit der Gestalt des Mädchens in den letzten Monaten vor sich gegangen war.

Zum Überfluß trat auch noch die Nachbarin auf und beteuerte, sie habe während der vergangenen Nacht in Nanis Stube deutlich ein Kind schreien hören, und obwohl jedermann wußte, daß die steinalte Matrone auf zehn Schritte weit das Kreischen einer Gans nicht von dem Schlag des Finkenmännchens unterscheiden könne, so fand ihre Aussage doch vollen Glauben. Die arme Nani wurde einhellig des Mordes schuldig gehalten, und der Haufe stürmte vor ihre Hütte hin, während andere ins Schloß hinaufeilten, um den Gerichtshalter herbeizurufen.

Dieser fand Nani im Bett, todesschwach und kaum imstande, auf seine Fragen Antwort zu geben. Ein kurzes Verhör überzeugte ihn, daß der Fall über seine Kompetenz gehe. Er stellte eine Wache vor das Haus der Inkulpatin, brachte die Leiche des Kindes in einer abgesonderten Kammer unter Schloß und Siegel und nahm über dies alles ein Protokoll auf, das er durch einen reitenden Boten nach Mitterfels schickte.

Es ist nicht meine Absicht, den Verlauf des gegen die Nani eingeleiteten Prozesses umständlich zu beschreiben; und wenn ich auch wollte, so vermöchte ich's nicht, denn ich bin kein Mann von der Feder. Die Geschichte ist schon lange her, und ich habe sie aus dem Munde schlichter Landleute, die ebensowenig Juristen sind als ich selber. Nur so viel kann ich sagen, daß die Nani, sobald sie nur einigermaßen wieder zu Kräften gekommen war, in Ketten gelegt und nach dem Amthaus von Mitterfels abgeführt wurde.

Schon bei der ersten Vernehmung bekannte sie, daß sie die Mutter des im Friedhof gefundenen Kindes sei, wies aber den Verdacht, es ermordet zu haben, entschieden und mit allen Zeichen des Abscheus zurück. Sie könne, sagte sie, keinem Hühnlein ein Leid antun, geschweige denn ihrem eigenen Blut. Das Kind sei tot zur Welt gekommen, und alle Heiligen des Himmels müßten ihr bezeugen, daß sie die lautere Wahrheit sage. Gern würde sie jede Schande und Strafe ertragen, wenn nur ihr Kind am Leben wäre. »Aber um eines Leichnams wegen«, fuhr sie fort, »wollte ich nicht im Strohkranz vor der Kirchtür stehen. Der Böse Geist gab mir ein, das schon erstarrte Kind heimlich unter die Erde zu schaffen; doch es in ungeweihten Boden zu legen, konnte ich nicht übers Herz bringen. Ich machte ihm daher im Gottesacker eine Grube, aber die Arbeit ging nur langsam vorwärts, weil ich kaum die Glieder regen konnte vor Schwäche, und so überraschte mich der Morgen, ehe ich den Boden wieder einebnen konnte.« Zum Schluß rief sie noch einmal Jesus und den ganzen Himmel zum Beistand an und brach dann, ihrer Gefühle nicht mehr Meister, in einen Strom von Tränen aus.

Das Gericht stellte den Angaben Nanis die gravierenden Aussagen der Zeugen gegenüber, namentlich die jener alten Frau, die das Kindergeschrei gehört haben wollte. An diese Handhabe klammerte sich der Pfleger mit eherner Faust, denn sie gab zumeist einen festen Haltepunkt und konnte ihn berechtigen, sein Lieblingsmittel, die »peinliche Frage«, gegen die Inquisitin in Anwendung zu bringen, falls diese fortfahren werde, ihr Verbrechen ableugnen zu wollen. Bereits im zweiten Verhör, nachdem die Beklagte standhaft wieder ihre Unschuld beteuert hatte, ließ er sie – gleichsam zum Vorspiel – bis aufs Blut mit Ruten hauen. Halbtot schleppte man die Mißhandelte ins Gefängnis zurück.

Nanis Wunden waren noch nicht vernarbt, so wurde sie abermals ins Verhör genommen. Diesmal führte man sie in eine dumpfe, modrige Stube, die in einem der Ringtürme des Felsenschlosses lag. Ein Spitzbogenfenster, durch die klafterdicken Mauern gebrochen, sollte das Gemach erhellen; aber seine erblindeten Scheiben ließen das Licht nur matt einfallen. Graue Dämmerung herrschte hier, wenn die ganze übrige Welt sich des hellen Tages erfreute. Die dem Fenster gegenüberstehende Wand war durch einen Vorhang von rotem Tuch verdeckt. Der Pfleger saß, die strenge Richtermiene gegen den Eingang kehrend, in einem blutrot beschlagenen Lehnstuhl; neben ihm, an einem von Alter und Tinte geschwärzten Tisch, ein lauernder Schreiber. Ein kühneres Herz als das eines Mädchens würde von dieser Umgebung erschüttert worden sein. Nani überlief ein eiskalter Schauder.

»Anna Osterkorn, tritt näher!« begann der Pfleger in einem Ton, der der Angeredeten gleich Posaunenruf des Jüngsten Tages klang. Zitternd, mit willenloser Hast, tat sie, wie ihr geboten war. Der Pfleger fuhr fort: »Wie dir wissentlich ist, hat ein Zeuge allhier vor Gericht eidlich deponiert, daß er in der Nacht vom 24. zum 25. Oktober huius anni dein Kind habe schreien hören. Wirst du, so durch ein gewichtiges Indizium überwiesen, dessenungeachtet Gott und deiner Obrigkeit noch länger die Ehre vorenthalten, indem du auf deinem frechen Leugnen beharrst?«

»Hochmögender Herr«, versetzte Nani, »tausendmal würde ich die Ohren segnen, die einen Laut von meinem Kind vernommen hätten. Aber ach, sein Mund blieb selbst der Mutter verschlossen.«

Der Pfleger ließ dem Schreiber Zeit, diese Worte ins Protokoll einzutragen; dann hob er wieder an, den stechenden Blick seiner grauen Augen unverwandt auf die Gefangene richtend: »Anna Osterkorn, ich frage dich zum letzten Mal im Guten: Willst du bekennen, daß dein Kind lebend zur Welt gekommen ist?«

»Helfe Gott mir und ihm!« entgegnete Nani. »Ich kann nicht sagen, was unwahr ist.«

»Du bleibst also bei deiner Verstocktheit?« stieß der Pfleger heraus. »Nun dann – so sollst du erfahren, daß ich Mittel habe, deine widerspenstige Zunge zu lösen.« Auf einen Wink seiner Hand schob sich der rote Vorhang beiseite, und es wurde in einem mit Folterwerkzeugen angefüllten Nebengemach der Nachrichter sichtbar. Dem unglücklichen Mädchen wich bei diesem Anblick das Blut aus den Wangen, und ihren Lippen entfuhr ein matter Schrei.

»Kennst du diesen Mann und seine Verrichtung?« fragte der Pfleger mit gedämpfter Stimme.

Nani starrte schweigend den Henker an.

»Tu deine Schuldigkeit!« befahl diesem der Pfleger.

Der Nachrichter trat vor und faßte sein Opfer unter den Armen, während sein Gehilfe einen mit spitzen Nägeln beschlagenen Stuhl – den sogenannten »Igel« – zurechtstellte. Diese schrecklichen Anstalten entmutigten Nani, oder vielmehr gaben sie ihr den Mut, lieber dem Leben zu entsagen, als sich zum Krüppel foltern zu lassen. Denn gewiß war es, daß, wenn sie auch die erste Marter ausdauerte, der grausame Richter ihr so lange mit neuen und immer schmerzlicheren zusetzen würde, bis sie redete, was er hören wollte. Durch eine plötzliche Kraftanstrengung befreite sie sich aus den Händen des Büttels, trat dicht vor den Pfleger hin und sagte: »Bluthund, weil du denn durchaus meinen Kopf willst – ja, ich habe das Kind ermordet.«

Der Pfleger, an solche Ausbrüche der Verzweiflung längst gewöhnt, verzog keine Miene. Mit eisiger Ruhe hörte er die Erzählung der Inquisitin an, in der diese ein Verbrechen darlegte, das sie nie begangen hatte, während die Feder des Schreibers pfeilschnell über das Papier hinflog, damit keine Silbe des Geständnisses verlorengehe.

Die weitere Geschichte des Prozesses läßt sich mit einigen Worten geben: Nani wurde zum Tode verurteilt und starb unter dem Schwert des Henkers.

Georg, der beklagenswerte Bräutigam, hatte seine Herrschaft auf einer Lustreise nach Wien begleitet und lebte dort in Freuden, ohne Ahnung des schrecklichen Loses, dem inzwischen seine Verlobte erlag. Er erhielt die Kunde von Nanis Einkerkerung und Hinrichtung zu gleicher Zeit, riß die Büchse von der Wand, und niemand hat ihn wiedergesehen. Einige wollten wissen, er sei, um sich am Gesetz zu rächen, unter die ungarischen Grenzräuber gegangen.

 

Nicht lange nach Nanis blutigem Ende kehrten zu Haibach einige Dirnen spät am Abend von der Rockenstube heim, und als sie an der Wohnung der Gerichteten vorübergingen, vernahmen sie darin Laute wie das Weinen eines neugeborenen Kindes. Kreischend liefen sie davon und erschreckten mit der Nachricht von dem Spuk das ganze Dorf. Alt und jung eilte herbei und umstellte in weitem Halbkreis die Hütte. Jedermann hörte deutlich die grauenerregenden Töne, aber nicht einer hatte den Mut, sich in den Bereich des gespenstischen Wesens zu wagen. Endlich ermannte sich ein alter Soldat, der unter Max Emanuel die Türkenkriege mitgemacht hatte. Er stürzte ein Glas Doppelkümmel hinunter, schlug ein großes Kreuz über sich und schritt, in der rechten Hand einen tüchtigen Knüttel, in der weit vorgestreckten Linken einen brennenden Kienspan haltend, dem Eingang der Hütte zu. Die morsche Tür wich leicht seinem Fuß, und das erste, was er erblickte, war – der Hauskater, der auf der obersten Stufe der Bodenstiege saß und, um sich die Langweile seiner Einsamkeit zu vertreiben, eines jener verrufenen Lieder angestimmt hatte,

So ein Lied, das Stein erweichen,
Menschen rasend machen kann.

Unser Held ging dem betroffenen und vom plötzlichen Lichtglanz geblendeten Virtuosen rasch zu Leibe, packte ihn beim Genick und trug ihn siegesstolz der herandrängenden Menge entgegen, die bei diesem Anblick alle Furcht verlor und in ein unmäßiges Gelächter ausbrach. Doch gab es viele unter den Anwesenden, die nicht mitlachten. Das Gewissen war in seinem Schlupfwinkel rege geworden und pochte mit dröhnenden Schlägen an die Herzen, die auf eine eitle Sinnentäuschung hin lieblos ihren Mitmenschen verdammt und dem Henkerbeil überliefert hatten. Eine Unzahl Vaterunser wurde der Sühne der Hingeopferten gebetet, und auf viele Meilen in der Runde läuteten die Glocken der Kirchen zu Seelenämtern. Aber Rosenkranz und Messe haben noch keinem Toten das Leben wiedergegeben.

 

Ein Jahr ungefähr war verstrichen, seitdem Nanis Leiche unter dem Rabenstein eingescharrt worden war, und der Pfleger von Mitterfels hatte über einer Räuberbande, die die Häscher in seinem Gerichtsbezirk eingebracht hatten, den kleinen Handel mit der Kindesmörderin längst vergessen. Da geschah es, daß er einmal in dringender Angelegenheit nach Straubing zur Regierung mußte und dort über die Zeit aufgehalten wurde. Von der Stadt nach Mitterfels sind es gute zwei Meilen übers Gebirge, und es hatten sich bereits die düsteren Schatten eines unfreundlichen, naßkalten Winterabends auf die Gegend gelegt, als er in der Nähe des Hochgerichts anlangte, das nach damaliger Sitte hart am Weg aufgebaut war. Schwarzen Riesen gleich starrten seine Pfeiler dräuend aus dem Dunkel empor, und dieser Anblick mochte in dem Mann, dessen eiserner Strenge hier schon so viele zum Opfer gefallen waren, denn doch unheimliche Gefühle erregen. Er gab dem Pferd die Sporen, um schneller vorbeizukommen, da – plötzlich – fing es oben zu rascheln an, rollte holterdiepolter die steile Böschung herab und fiel mitten in die Straße. Das erschreckte Pferd machte einen Seitensprung, trat über den Rand des schmalen Saumweges hinaus und stürzte mit seinem Reiter in den zur Seite hinlaufenden Abgrund.

Der den Pfleger begleitende Diener sah mit Entsetzen seinen Herrn in der greulichen Tiefe verschwinden, ohne ihm helfen zu können. Er tat, was in dieser Lage das Beste war, und sprengte mit verhängtem Zügel dem nicht mehr fernen Schloß zu, um dort Lärm zu machen.

Die Schreckensbotschaft brachte das ganze Haus auf die Beine. Bei der verhängnisvollen Stelle angekommen, kletterten einige mit Fackeln den Felshang hinab, um den Verunglückten zu suchen, während die anderen oben bei den Pferden blieben. Von diesen geriet einem etwas Kugeliges unter den Fuß; man leuchtete hin, es war ein Totenschädel!

Die Untersuchung, die später angestellt wurde, ergab, daß Wölfe, die sich damals, nach den furchtbaren Verwüstungen des Spanischen Erbfolgekrieges, rudelweise im Waldgebirge aufhielten, unter den Gräbern des Hochgerichts gewühlt hatten. War es aber bloßer Zufall, der jenen Schädel gerade in dem Augenblick den Hügel herabkollern machte, als der Mörder Nanis unten vorüberritt? – Gottes Wege sind wunderbar.

Den Pfleger fand man mit zerschmetterten Gliedern und besinnungslos am Grund der Schlucht. Man brachte ihn mit Mühe den Berg herauf und ins Schloß. Da lag er die ganze Nacht in einem Zustand, der halb Leben, halb Tod schien. Des Morgens um neun Uhr – zu derselben Stunde, in der Nanis schuldloses Haupt gefallen war – schlug er mit einem Mal die Augen auf, richtete sich im Bett empor und stammelte mit dem Ausdruck höchster Angst: »Bringt mir die Akten – in Sachen Anna Osterkorn – ich habe mich vor einem strengen Richter zu verantworten – schon ruft mich sein Bote – ich komme – Gnade – Gnade!«

Es waren seine letzten Worte. Nachdem er sie gesprochen hatte, sank er in die Kissen zurück und war eine Leiche.

 


 


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