Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der letzte Hieb

Vor alters wurden in Würzburg häufig Zigeuner, wenn sie in herumziehenden Diebsbanden aufgegriffen wurden, auf dem Pranger ausgestellt und dann auf den Galgenberg, wo jetzt der Kugelfang ist und damals ein Galgen stand, geführt und aufgehängt. Bevor sie auf den Pranger hinauftraten und ehe sie von diesem herabstiegen, erhielten sie derbe Rutenstreiche, meist auf entblößte Körperteile. Dann wurden sie durch die Stadt nach dem Sandertor, um einen Teil der Stadt herum und dann den Berg hinaufgeführt. Denn zum Rennweger Tor durfte der Zug nicht hinausgehen, weil man sonst bei der fürstbischöflichen Residenz vorbeigekommen wäre und die Delinquenten die fürstliche Gnade hätten anrufen können. (Noch jetzt müssen die Delinquenten diesen Weg machen und dürfen nicht an der Residenz vorüber.) Auf dem Weg zur Richtstätte waren mehrere Stationen bestimmt, wo die Delinquenten anhalten mußten, um Rutenstreiche zu empfangen oder mit eisernen Zangen gezwickt zu werden.

Einst waren mehrere Zigeuner am Pranger ausgestellt, worunter sich auch eine anmutige Weibsperson befand. Diese schien von adeligem Zigeunergeschlecht zu sein, da sie ein äußerst feines Hemd am Leib hatte, und sie wurde vom umstehenden Volk sehr bemitleidet. Als sie nun auch Rutenstreiche empfangen sollte, boten sich mehrere junge Mannspersonen an, die Hiebe anstatt ihrer auszuhalten, allein es wurde nicht angenommen, und die hartherzigen Henkersknechte erteilten der adeligen Zigeunerin die diktierte Anzahl von Hieben. Auch auf dem Weg wurde ein solches Anerbieten von seiten der jungen Mannspersonen nicht angenommen. Als sie an der Stelle, wo man die Stadt zum letzten Mal vor sich liegen sieht, ihre letzte Tracht Hiebe erhalten sollte, murmelte sie einen leisen Fluch, und dem Henker erstarrte die Hand, so daß ihm die Rute entfiel und er nicht imstande war, sein Prügelamt zu vollziehen; und er blieb für immer gelähmt.

Diese Stelle auf der Anhöhe nannte man zu jener Zeit den »Letzten Hieb«. Später wurde dort ein Bierkeller erbaut, der noch jetzt diesen Namen führt. Aber beim schäumenden Krug denken wenige daran.

 


 


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