Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die Zufluchtsstätte der heiligen Walpurgis

Von J. N. Vogl.

                    Der Eichwald saust, es heult der Sturm,
Horch! Eulenruf im alten Turm!
»Du, Pilgrim, nimm dich wohl in acht,
Des Mörders Aug' im Walde wacht.

Du, Pilgrim, mit dem weißen Stab,
Steig nicht ins finstre Tal hinab;
Kehr um, kehr um, noch ist es Zeit,
Der Weg nach Sankt Walpurg ist weit.«

Der aber spricht: »Muß fürder ziehn,
Muß heut nach Sankt Walpurg noch hin;
Hab' mich verlobt in tiefem Leid
Der Jungfrau dort mit heil'gem Eid.«

Hin geht er drauf in Nacht und Graun,
Vor Tag den hohen Dom zu schaun;
Kein Laut – der Sturm nur heult allein
Und wimmert tief im Felsgestein.

Da bricht's hervor, da springt's heran,
Mit nerv'gen Armen faßt's ihn an,
Wild schnaubt der Mord: »Dein Gold! Dein Gold!«
Des Pilgrims Blut im Staub entrollt.

Hoch aus dem Hals ein Blutstrom quillt:
»O Mörder, stießest gar zu wild! –
Was wühlst du so mir im Gewand?
Umsonst nach Gold sucht deine Hand!«

Und der betrogne Mörder drauf
Voll Ingrimm springt vom Pilger auf;
Der aber, krümmend sich im Blut,
Stöhnt noch mit letzter Lebensglut:

»O Sankt Walpurgis, hehr und mild,
Du wundertätig Frauenbild,
O gib, daß ich zu dir mich find',
Wenn Seel' und Leib geschieden sind.«

Verstummt ist drauf des Pilgrims Mund,
Der Sturm nur gibt sein Zürnen kund;
Es saust der Wald, es rauscht die Flut,
Von ihm gepeitscht mit toller Wut.

Und zu dem Strom auf öder Bahn
Der Mörder schleppt den Pilgersmann.
»Hinab mit dir, daß nicht Verrat
Dem Tag vertrau' die nächt'ge Tat.«

Da plötzlich um den Träger preßt
Der Pilgrim seine Arme fest;
Wie der auch strebt und wie er ringt,
Nicht los er ihn vom Rücken bringt.

Auf kreischt er da in Schrecken wild,
Von mehr als Todespein erfüllt:
»Wer hilft mir von der grausen Last,
Die mich – weh mir! – so kalt umfaßt?«

Doch fest, an Brust und Schulter warm,
Klemmt sich des Toten eis'ger Arm,
Das grause Antlitz, hohl, verbleicht,
Mit Grinsen sich zu seinem neigt.

»Zu Hilfe! Hilfe! – Steht mir bei!«
So schallt des Flücht'gen Angstgeschrei.
Wild fliegt sein Haar um Aug' und Stirn',
Wie Wahnsinn zuckt's ihm durchs Gehirn.

»Und bring' ich nirgends mehr dich los,
Begrab' uns beid' des Stromes Schoß.«
Er ruft's und saust im schweren Fall
Hinunter in den Wasserschwall.

Still ist's ringsum – wohl hält der Schlund
Die beiden fest im tiefen Grund;
Betrogen! – Schaut – in grimmer Wut,
Wirft sie zurück an Land die Flut.

»Weh mir! Weh mir!« der Mörder ruft. –
»Weh dir!« hallt's nach aus Tal und Kluft;
Die Wölfin selbst, die Blut nur sucht,
Entflieht vor ihm zur tiefsten Schlucht.

Und fort und fort durch Wald und Aun,
Und fort und fort spornt ihn sein Graun.
Da blinkt es fern, da klingt's so mild
Wie Glockenton durchs Talgefild.

»Was steigt dort auf im Morgenlicht?
Ist das der Dom zu Eichstätt nicht?
Der Dom, so Sankt Walpurg geweiht,
Zu dem den Pilgrim rief sein Eid?

Wie fand mein Fuß hierher die Bahn?
Durch Sturm und Nacht, hinab, hinan?«
O folg der Stimme, die da sagt:
»Dir hilft nur dort die Gottesmagd.«

Und mühsam ringt er sich hinauf,
Hell glühen Fenster, Turm und Knauf –
Die Frühmess' mit gar frommem Sinn
Hört eben die Gemeinde drin.

Zur Pforte tritt er – und mit Schrein
Zerstiebet alles vor den zwein,
Und auf die Knie, zum Tod entstellt,
Mit seiner Last der Mörder fällt.

»O Heil'ge«, ruft er, »schau in Huld
Auf mich, der bald gesühnt die Schuld.
Sich mich in meiner tiefen Reu',
Und mach mich von dem Toten frei!«

Und kaum er so zur Heil'gen spricht,
Entweicht von ihm das Schreckgewicht,
Und auf die Schwelle gleitet sacht
Der Pilgrim, der die Fahrt vollbracht.

Der Mörder aber im Gebet
Noch brünstig zu der Heil'gen fleht;
Und als der dritte Morgen naht,
Hat er in Reu' gesühnt die Tat.

 


 


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