Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der treue Star

Vom Geschlecht der Markgrafen von Cham-Vohburg geht die Sage, daß einmal ein Fräulein des Hauses im zarten Kindesalter durch die Zigeuner geraubt worden sei. Ein Star, der im Schloß gehalten wurde, flog den Räubern nach und begleitete sie allerorten hin auf ihren Kreuz- und Querzügen. Wenn sie rasteten, ließ auch er sich auf einem nahen Baum nieder und begann die ihm eingelernten Sprüche herzuplaudern.

Die Räuber sorgten sich nun, durch diesen Vogel verraten zu werden, und stellten ihm auf alle mögliche Weise nach, ihn zu fangen oder zu töten; aber das kluge Tier wußte allen Schlingen und Geschossen zu entgehen. Da wurde den Zigeunern ernstlich bang, und sie trachteten, sich des gefährlichen Raubes zu entledigen. Zu diesem Zweck setzten sie das Kind an der Schwelle einer einsamen Herberge im Böhmerwald aus; der Star aber schwang sich auf den Giebel des Hauses und sang da mit heller Stimme seine alten Weisen.

Die Wirtin, eine arme, aber gutmütige Frau, nahm sich des Findlings bestens an und fütterte auch getreulich den Star, der sich von der Kleinen durchaus nicht trennen wollte. Wohl dachte sie, wenn sie das feine und zierlich ausgenähte Hemdlein des Kindes beschaute, daß dieses aus einem vornehmen Haus stammen müsse, aber von dem Raub in der markgräflichen Burg drang keine Kunde in ihre Einöde, und so wußte sie auch nicht, woher oder wohin mit dem Mädchen.

Dieses war im Laufe der Jahre zur blühenden Jungfrau herangewachsen, als eines Tages ein stattlicher Ritter in der Herberge einsprach, den ein Gewittersturm Obdach zu suchen gezwungen hatte. Und während der Gast am Tisch saß und sie mit einem Krüglein Wein labte, hüpfte der Star hinterm Ofenbrett hervor, flatterte mit seinen Schwingen, als wollte er die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich ziehen, und ließ sodann seine Sprüche und Liedlein vernehmen.

Dem Ritter war, als hätte er den Vogel vor langer Zeit schon gesehen und gehört, und er fragte die Wirtin, woher sie das Tierlein habe. Diese erzählte ihm die Geschichte des Mägdleins, soviel sie davon wußte, und brachte auch das Hemdchen herbei, das sie bis zur Stunde sorgfältig aufbewahrt hatte. Der Ritter erkannte an der Stickerei mit freudigem Schrecken das Wappen seines Hauses, und er gebot der Wirtin, ihm augenblicklich die Jungfrau vorzuführen. Diese wurde von der Wiese hereingerufen, wo sie eben Gras mähte, und der Ritter erstaunte nicht wenig über ihre seltene Schöne und Huldgestalt. Er nahm sie bei der Hand und streifte, ihr Erröten nicht scheuend, mit der Linken das Busentüchlein etwas zurück, und siehe da – in der Gegend der Schulter war auf der lilienweißen Haut ein Muttermal sichtbar in Form einer Kreuzdornblüte. Alsbald fiel der Ritter der Jungfrau um den Hals und rief: »Ich bin der Graf zu Vohburg, und du bist meine Schwester, die wir so lange beweint haben; dieses Zeichen gibt dich mir zu erkennen, da unsere Mutter uns oft genug davon gesagt hat.«

Wiederum umarmte der Graf das schöne Schwesterlein, als sollte dies gar kein Ende nehmen. Dann stieg er aufs Roß und nahm die Jungfrau vor sich in den Sattel. Der Star aber, als hätte er die Szene des Wiederfindens begriffen, erhob ein freudiges Geschrei und flog an der Seite des glücklichen Paares der Heimat zu.

Welcher Jubel sich dort erhoben hat, als das verlorene Fräulein seinen Einzug hielt, läßt sich schwer beschreiben. Die gräflichen Eltern bereiteten ein großes Freudenmahl, zu dem alle Verwandten und Dienstleute des Hauses geladen wurden, und der Star spazierte während der Gasterei auf den Tischen herum, als wollte er von allen Anwesenden das ihm gebührende Lob einsammeln.

 


 


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