Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Pestmännlein

Vor Jahren hatte das Stift zu Rottenbuch sein eigenes Recht und Land und ließ seine Leute vor dem eigenen Stuhl richten, selbst auf Leben und Tod. Sie hielten sich dazu einen eigenen Richter, und da war denn auch einmal ein gar schlimmer und scharfer, der für die Chorherren Schwert und Waage handhabte, aber weit lieber mit dem einen dreinschlug, als auf das richtige Zeigen des Züngleins an der anderen wartete.

Einmal, nach einer großen Tafelei – es war gerade des Herrn Prälaten Namenstag –, lag der Richter in seiner Behausung wie ein Stückfaß auf dem Lotterbett und schnaubte und atmete, als wollte er zur Stunde ersticken, denn er hatte sich das Bankett zu wohl behagen lassen. In seinem Taumel hatte er lange nicht bemerkt, daß ein Mensch vor ihm stand, ihm zusah in seinen Nöten und dabei lachte, so gut es sein saures Gesicht erlaubte. Der Mensch war ein schmutziger Bauer mit nußbrauner Haut und einer Igelperücke, knochigem Leib und kaum in ein paar Lederfetzen gewickelt. Man hieß den wilden Gesellen den »Filzdraken«, weil er wie ein Drache im öden Forst am FilzMoorland mit niederem Buschwerk sich eine Lehmhütte gebaut hatte und dort in Not und Elend hauste mit Weib und Kind.

Der Drak also brummte ein paarmal etwas in den Bart und machte so seine Gegenwart kund, daß darüber der Klosterrichter aus seinem schweren Schlaf erwachte. Wie er nun den Bauern vor sich sah, erschrak er sichtlich, denn er hatte den Mann, einen Zinspflichtigen des Stifts, kürzlich im Übermut und um schlechten Vorwand hart büßen lassen und ihm die einzige Kuh aus dem Stall getrieben. Schnell aber nahm er sich wieder zusammen, und wie das die Gerichtsherren im Brauch haben, wenn ihnen ein Untergebener vorkommt, dem sie unrecht getan haben, wurde er grob und begann den Filzdraken zu inquirieren, was er hier in der Stube suche, wie er gleich einem Diebsgesindel hereingekommen sei, weshalb er ihn böswillig erschrecke und mehr dergleichen, wobei er ihm schließlich mit Keuche und Rutenstreichen drohte.

Der Filzdrak ließ sich aber durch des Gestrengen Zorn nicht beirren, stellte sich steif vor ihn hin und hielt ihm mit einer Feuerzange einen alten, zerdrückten Bauernhut hin, ohne ein Wort zu sagen.

»Was sollen die Narreteien?« grollte da der Vogt. »Weshalb bringt Er den Hut in der Zange? Was treibt Er für Gespött mit mir?« Dabei riß er dem Bauern den Hut weg, zerdrückte ihn mit beiden Fäusten und trat dann mit den Füßen darauf herum.

Der Filzdrak aber öffnete sein breites Maul und begann faul und eintönig: »Ich habe Ew. Gestrengen nur berichten wollen, wie es sich mit dem Hut verhält, weil das eine besondere Sache ist und mir viel zu bedeuten deucht. Mein Bub, der Jürgenaz [Georg Ignaz], hütet die letzten zwei Geißen, die Ew. Gnaden mir noch übriggelassen, müßt Ihr wissen, und die trieb er heute in das Wäldlein gegen die Wildsteig hin. Da saß der Bub und weinte, weil ihn hungerte, und er glaubte, man müsse dann essen. Er ist noch dumm und weiß nicht, daß Ew. Gestrengen es nicht leiden mögen, wenn wir Bauern satt sind, und uns darum das Tischtuch kürzen.

Wie er so heulte, kam mit einem Mal ein wunderliches Männlein, schier nackend, mit einem Laubgürtel um die Lenden und ein Hütlein auf, aus dem Wald gelaufen, und ehe mein Bub vor Angst und Furcht entlaufen konnte, hatte es ihn erwischt und hielt ihn am Kittel fest. Das Männlein, sagt der Bub, war käsebleich und gelb, zottig von Haaren, sah drein mit gläsernen Augen und krächzte ein Kauderwelsch mit weinerlicher Stimme. Meinem Jürgenaz wurde totenübel, er riß sich mit Gewalt los und rannte heimwärts; das Männlein aber sprang ihm eine gute Weile nach und schrie dazu: ›Wehe und aber wehe!‹ daß es wiederhallte im Holz.

Wie mir der Bub die Mär vorgekeucht hat, laufe ich weidlich hinaus, das Männlein zu sehen. Es war aber verkommen, und sein Hut lag am Boden, den es meinem Buben hatte schenken wollen. Worauf mir schnell einfiel, ich habe einmal gehört, wie damals, als der große Sterb gewütet hat im Land, ebenfalls ein nackend Weib zu einem Hirtenmädel aufs Feld gekommen sei und ihm ein Paar Strümpfe geschenkt habe; wie dann sogleich die Dirn an der Pestilenz verstorben ist und mit ihre viele tausend Menschen, die allein im wilden Friedhof liegen oder bei Sankt Ruperts Münster, das nun zusammengefallen ist.

Da sprang ich in meiner Einfalt zu Ew. Gnaden und wollte vermelden, was geschehen ist und wie ich fest glaube, daß dieses Wesen das Männlein ist vom selbigen Weiblein, und daß bald ein großer Sterb und Todfall anheben wird. In dem Hut hat es uns die Pest gebracht, und darum habe ich ihn auch nur mit der alten Feuerzange angefaßt, weil ich gar gut weiß, daß man sie erbt, wenn man auch nur mit der Fingerspitze ein verpestetes Ding berührt.«

Kaum hatte der Filzdrak diese Worte gesprochen, so hättet ihr sehen sollen, wie der Vogt von neuem erblaßte und hinsank in die Kissen. Er hatte ja den Hut des Pestmännleins mit beiden Händen erfaßt; er wußte, daß es wahr sei, was der Bauer von dem Pestweiblein erzählt hatte, denn er hatte es in einer Chronik gelesen, die im Kloster lag. Er fühlte sich mit einem Mal todkrank und elend; er hatte die Pest.

Der Filzdrak, als er des gestrengen Herrn Übelbefinden bemerkte, lachte boshaft; jener aber griff nach der silbernen Pfeife auf dem Tischlein und wollte den Fronknecht rufen, damit er den Boten des Todes fasse. Der Filzdrak aber spürte, wo das hinaus sollte, schlug ihm die Pfeife aus der Hand mit der Eisenzange, rupfte seine Lederkappe und ging von dannen, indem er noch zum Abschied zur Tür hineinrief: »Ich wünsch Euch wohl zu sterben, gestrenger Herr!«

Dem Vogt aber wurde noch erbärmlicher zumute, und er legte sich den Abend noch hin und starb unter unsäglichen Martern gerade um zwölf Uhr nachts. Er konnte bald nicht mehr reden, nicht beichten noch beten, sondern fuhr hin in seinen Sünden, voll Grimm und Wut auf seinem roten, stolzen Gesicht. Bei seinem Tod entstand ein großes Geschrei, und allgemein war die Furcht, daß die Pestilenz wieder losbreche. Man begrub darum den bösen Pfleger von Rottenbuch in dem wilden Friedhof ohne Segen und Weihbrunnen, ohne Licht und Leuchte. Der Schinder mußte ihn verscharren.

Darauf erzählte man überall von dem »Pestmännlein«. Mancher hatte es gesehen, wenn er durch einen Wald ging; die Hirten am Feld schreckte es, und wild schreiend lief es einzelnen nach. Bald war es da, bald dort. Einer hatte es am BergDen Berg nennt man in Lechrain vorzugsweise den Peißenberg mit seiner herrlichen Aussicht. gesehen, der andere traf es am Tastwald am Lech. Da bekehrten sich die Menschen in ihrer Todesangst, die Herren wurden barmherziger gegen die Bauern, und alle zusammen beteten um Abwendung der großen Not zu Gott und Sankt Sebastian.

Es kam auch niemand mehr um als einzig der gewalttätige Vogt, den der Herrgott getroffen hatte mit seinem starken Arm. Gar viele Leute meinen auch, seine Seele habe keinen Frieden, und er geistere mit dem neidigen Schaffner, der den Armen das Brot zu klein gab, unten in den Steinernen Stuben am Strausberg in der Amperleite.

Das Pestmännlein aber verschwand, und seitdem hat man's nicht wieder gesehen.

 


 


 << zurück weiter >>