Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die drei Wasserjungfrauen im Gründlesloch

Zu Castell in Unterfranken.

Am Fuß des Casteller Berges, eines der Vorberge des Steigerwaldes, bricht in der Ebene zwischen Castell und Rüdenhausen aus dem Gipsgestein eine mächtige Quelle und füllt mit dem klarsten Wasser einen mäßigen Kessel. Das Wasser kommt aus großer Tiefe durch das unregelmäßig zerklüftete Gestein mit solcher Macht herauf, daß es Gegenstände, die ein die Wasserschwere nicht stark überwiegendes Gewicht haben, nicht zu Boden läßt. Der Grund des Wassers ist nicht zu erforschen, weil es durch Krümmungen heraufbricht, und die Quelle heißt deshalb in der Umgegend der Grundlose Brunnen oder das Gründlesloch.

Auf der Höhe des Casteller Berges steht noch eine Turmruine von dem alten Schloß der Grafen von Castell, deren wohnliches neues Schloß nun nahe am Fuß des Berges liegt. Das alte Schloß setzt die Sage mit der Quelle in Verbindung.

Zu jenen Zeiten nämlich, da das alte Schloß noch stand, feierte ein Graf von Castell seine Hochzeit in den Sälen dieses Schlosses, und aus Ferne und Nähe waren edle Gäste zum Fest geladen. Mit dem Anbruch der Nacht begann der Tanz, und die Jünglinge und Jungfrauen ergötzten sich in der festlichen Lust; Musik und freudiger Jubel tönten den Berg hinab weit in die Ebene hin. Da traten plötzlich um Mitternacht leise drei Jungfrauen von blendender Schönheit in weißen langen Gewändern in den Tanzsaal und erfüllten die jubelnden Gäste erst mit Staunen, dann mit Bewunderung, die Herzen der Jünglinge aber mit Sehnsucht der Liebe. Die Anmut und Schönheit der Fremden hatte bald den ersten Schauder überwunden; man zog sie in den Tanz, und sie schlängelten sich mit wunderbarer Zierlichkeit durch die Reihen.

Die Stunden flogen hin, aber je näher der Morgen rückte, je mehr wurde eine ängstliche Sorge in den Augen der schönen Jungfrauen sichtbar, und als der erste Schauer des nahenden Morgens sich empfinden ließ, baten sie dringend um Entlassung. Es waren Nixen aus der Tiefe des Grundlosen Brunnens. Da die Lust des Festes in den jubelnden Tönen zu ihnen gedrungen war, hatten sie dringend die Mutter angegangen, sie an dem Fest der Menschen teilnehmen zu lassen. Nach langer Weigerung hatte die Alte den Bitten der Töchter nachgegeben, aber ihnen wiederholt das alte Gesetz der Tiefe eingeschärft, vor dem Hahnenschrei zurück zu sein, und sie vor den furchtbaren, tödlichen Folgen der Übertretung dieses Gesetzes in wehmütiger Ahnung gewarnt.

So waren sie denn aus dem klaren, stillen Wasserspiegel aufgetaucht, und ein alter Jäger hatte von der Waldecke her die lieblichen Gestalten über den Pfad der Wiese, den Steig am Berg hinaufschweben sehen. Deshalb erfüllte der nahende Morgen sie mit Bangen. Die Leidenschaft der liebenden Jünglinge hielt sie wider Willen zurück.

Da krähte der Hahn, und mit dem Blick des Entsetzens stürzten sie aus dem Saal durch die Höfe, den Berg hinunter mit fliegender Eile, daß die Jünglinge ihnen nicht zu folgen vermochten. Sie sahen sie nur eilend über die Wiese nach der Quelle zu schweben und, als sie bei dieser angelangt waren, sich in diese stürzen. Entsetzt eilten die Jünglinge hinzu, und als sie in den reinen Wasserspiegel hineinsahen, wallte ein warmer Blutstrom ihnen aus der unheimlichen Tiefe entgegen.

Nicht überall, wo diese Sage erzählt wird, betrifft die Jungfrauen das Unglück; oder wenigstens nur eine von den dreien, die sich verspätet hat, während die anderen beiden zur rechten Zeit um Mitternacht den Tanzplatz verließen.

 


 


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