Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der Geist vom Rothenfels

Wenn vom Zwielicht des Mondes erhellt die Herbstnacht über das Nahetal herabsinkt und des Uhus Ruf aus den Klüften des Rothenfels und des Rheingrafensteins hallt, dann schwebt aus den öden Schluchten der Felswand der Geist des Gebirges hervor im langen, faltenreichen Gewand, das wolkig wie Nebel fast bis zur Nahe hinabreicht. Er schwebt dann hin und her an der breiten Felswand, sitzt nieder auf die Zacken, hält die Nacht durch seinen Umgang, verschwindet aber wieder, sobald der Tag graut.

Drinnen in dem Felsen hat der Geist seinen Wohnsitz in einem kristallenen Haus, das schimmert von Gold und edlem Gestein. Bös ist der Geist nicht, wenn man ihn nicht höhnt und reizt; und er hat von jeher schon seine Lieblinge gehabt, die er reichlich beschenkte.

Manchmal schwebt er auch hinüber auf die Ebernburg; aber dann heult der Sturm in ergreifenden Tönen um die zerfallene Burg, denn der Geist des Rothenfels trauert um seinen Liebling. Und das war kein anderer als Franz von Sickingen. Wilder und toller war niemals ein Knabe im Nahetal, aber auch besser keiner vor ihm und nach ihm. Sah er den Schwachen leiden, so war er seine Stütze, sein Verteidiger. Sah er Arme, so teilte er Brot und Kleid mit ihnen und ging lieber nackt auf die Burg zurück. Das sah der Geist und gewann ihn lieb; darum schützte er ihn mit unsichtbarer Hand in Gefahren und zog ihn einmal wunderbar aus den Wellen der Nahe, die ihn schon verschlungen hatten.

Oft kletterte Franz an der Felsenwand hinauf in furchtloser Keckheit, mißachtend des Vaters Verbot und der Mutter Tränen. Dann setzte er sich hinter die Zacken, wie der Reiter im Sattel sitzt, und ritt lustig in der grausigen Höhe und schwindelte nicht.

Eines Tages war er wieder in die Schluchten des Rothenfels geklettert, um des Falken Nest zu erreichen, das hoch oben in einer Spalte des Gesteins hing. Er hatte des Vaters Hifthorn mit sich genommen und stieß nun lustig hinein, daß der Rothenfels hallte und das Echo des Steins es vielfach zurückwarf, saß auch wieder nahe der tiefen Schlucht hinter dem greulichen Zacken und ritt. Und wie er so dasaß in schwüler Mittagsstunde und sich vergnügte, kam ihn plötzlich ein Schlaf an, der fast unwillkürlich seine Augen zudrückte. Er lehnte sich gegen die Felswand und schlummerte sanft ein, denn ein leise wehendes Lüftchen kühlte seine Wangen, und der Felsen warf Schatten über seine Augen. Er schlief und schlief. Die Dämmerung kam und die Nacht. Da schwebte der Berggeist hervor aus seiner Wohnung, nahm ihn, den er unsichtbar umschwebte, hüllte ihn in seinen schleppenden Mantel und trug ihn in seine kristallene Wohnung.

Drüben in Ebernburg war große Not um den Knaben. Der Vater mit seinen Reisigen und die hörigen Leute des Dörfleins suchten ihn mit Fackeln und Windlichtern am Fuß des Rothenfels im Gestein, wo man ihn gesehen und seines Horns Töne vernommen hatte. Betrübt kehrte der Vater nach vergeblichem Suchen auf die Burg zurück zur trostlosen Mutter, mit ihr klagend, daß der Knabe sein frühes Grab in der Nahe gefunden hatte.

Mittlerweile war Franz erwacht und sah erstaunt um sich; denn tausendfach strahlte das Licht ihm entgegen. Solche Herrlichkeit hatte niemals sein Auge gesehen. Da schwebte der Geist auf ihn zu mit freundlichem Wesen. Der Knabe aber stand trotzig auf und fragte, wo er sei und wie er hierher gekommen sei. Der Geist erzählte ihm, wo er ihn gefunden und wie er ihn gerettet habe. Das ließ sich Franz gefallen und dankte furchtlos dem Geist, verlangte aber gleich, daß er ihn zur Ebernburg bringe.

Solches Wesen gefiel dem Geist nur noch mehr, und er zeigte Franz seine Schätze und lud ihn ein, sich davon zu nehmen; aber der Knabe verneinte das und bat, daß er wiederkehren dürfe. Der Geist gab ihm ein goldenes Kettlein, daran ein Edelstein hing, und sprach: »Sooft du zu mir willst, so komm zu der Stunde, wo sich die Nacht mit dem Tag eint, an den Fuß des Rothenfels; nimm den Stein in deine Hand, und alsbald werde ich bei dir sein und dich hereingeleiten.«

Franz schlang das Kettlein um seinen Hals und verbarg es sorgfältig. Darauf führte ihn der Geist sicher hinab, hinüber nach der Ebernburg und verschwand. Ernster als je trat Franz in die Burg, wo lautes Frohlocken ihn empfing, aber auch des Vaters Unwille, den er still trug. Er sagte nichts von dem, was ihm begegnet war.

So lebte Franz forthin in steter Gemeinschaft mit dem Geist im Rothenfels. Als er zum Ritter wurde, da standen die Schätze des Geistes ihm offen zu seinen Taten und Zügen.

Nur einmal warnte ihn der Geist – als er gegen Trier zog – und wandte sich grollend von ihm, als er dennoch den Zug unternahm. Von der Zeit an folgte Unglück auf Unglück, und fern von Ebernburg fand er sein Grab; aber der Geist trauerte tief um ihn. Ein Jahr lang blieb er im kristallenen Hause verschlossen; dann ließ er sich wohl wieder sehen und schwebte – wie noch heute in stillen Herbst- und Frühlingsnächten – hinüber nach Ebernburg, zu trauern um seinen Liebling. Trüb und wolkig ist seitdem sein Gewand, wenn er am Rothenfels hinschwebt, und im Gras am Ufer der Nahe zittern in kristallhellen Tropfen seine Tränen, die er weint um seinen Liebling, den letzten Ritter.

 


 


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