Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der Galgenpater

Im vorigen Jahrhundert bestand noch zu Burghausen ein Hochgericht, und ein alter, ehrwürdiger Jesuit des dortigen Klosters hatte seit vielen Jahren das schwere, aber bei ihm segensvolle Geschäft, die Verurteilten zum Tod vorzubereiten und sie zur Richtstätte zu begleiten. – So wurde er denn auch einmal zu einem jungen Menschen in den Kerker gerufen, der wegen eines schweren Verbrechens zum Tode verurteilt war. Die Umstände und Beweise lagen so offensichtlich, daß seine Schuld von den Richtern unbezweifelt ausgesprochen und das Urteil auch in München bestätigt wurde. Der gute Galgenpater fand an ihm eine Gelegenheit zu neuer Pflichtübung, nämlich ihn trotz seiner dringenden Unschuldsbeteuerungen dennoch zur Ergebung in Gottes Willen und zum freudigen Tod als Christ zu bestimmen; und es gelang ihm dies auch in vollem Maße.

So kam der festgesetzte Tag der Hinrichtung, und der greise Galgenpater begleitete seinen jungen, liebgewordenen Freund auf dem Armensünderkarren zur Richtstätte. Unterwegs durchzuckte diesen plötzlich ein Lichtgedanke, und er sprach zum Pater: »Lieber Pater, ich weiß, Sie glauben an meine Unschuld; aber wie die Beweise liegen, könnten Sie doch noch einmal zweifelnd an mir werden. Gott gibt mir aber in diesem Augenblick das lebendige Vertrauen ins Herz; erbitten Sie sich von ihm irgendein Zeichen für meine Unschuld; ich glaube fest, Gott wird es Ihnen gewähren!«

»Gut«, sagte der Pater. »Ich zweifle zwar nicht an deiner Unschuld; aber um dich zu beruhigen, bitte ich hiermit Gott, daß zum Beweis deiner Unschuld der größte Sünder auf vier Stunden weit in der Runde sich bekehre und ich dies erfahre.«

»Ich danke Ihnen, lieber Pater, und vertraue zu Gott, Sie werden die Freude erleben.«

So kamen sie zur Richtstätte, und der Jüngling starb wie ein Heiliger. Es war fünf Uhr nachmittags. – Gebrochenen Herzens kehrte der Pater in seine Zelle zurück, warf sich auf sein Lager und brachte die Nacht in Schmerz und Gebet zu, in Gedanken an den Verurteilten.

Morgens um drei Uhr klopft es an seiner Tür. Der Pförtner meldet, es sei schon seit einer Stunde ein Mensch vor der Kirchentür, der dringend verlange, dem Galgenpater zu beichten. Er geht hinab in die Kirche, in den Beichtstuhl, und ein fremder Mann legt ihm ein stundenlanges Bekenntnis ab, wie er – obwohl Galgenpater – noch keines gehört hat, aber mit solchen Zeichen der tiefsten Reue, mit Schluchzen und Tränen, daß der gute Pater selbst innig bewegt wird. Als das Bekenntnis vorüber ist, fragt er ihn: »Aber lieber Mann, wie kommt Ihr jetzt, zu solcher Stunde, und gerade zu mir?«

»Hört, Herr«, sagt er; »gestern nachmittag arbeitete ich wie gewöhnlich in meinem Stall und dachte nicht an meine Sünden; da fiel's auf einmal wie Feuer vom Himmel in meine Seele und brannte mir im Geist wie die Hölle, die ich offen vor mir sah, und alle meine Greuel standen mir vor Augen, und ich rief: ›Ich bin verdammt!‹ Da hörte ich eine Stimme in mir: ›Verzweifle nicht; mach dich auf, geh nach Burghausen, frage nach dem Galgenpater und lege ihm eine offene Beichte ab, und Gott wird dir vergeben.‹ Und so bin ich die Nacht durchgegangen, bis ich an Eure Kirche kam und Euch endlich fand.«

»Um wieviel Uhr war das?«

»Gestern nachmittag um fünf Uhr.«

»Und wie weit wohnt Ihr von hier?«

»Gute vier Stunden«, war die Antwort.

Frohlockend blickte der Galgenpater zum Himmel.

 


 


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