Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der Kaiser im Untersberg

Noch waren zehn Jahre nicht vorüber, seit Luther seine Reformation begonnen hatte, da ging ein andächtiger Bürger von Reichenhall eines Sonntags nach der Frühmesse weit aus lustwandeln. Er kam an den Untersberg, sah mit Erstaunen den Berg offen wie durch ein Kapellentörlein, darüber eine Inschrift mit silbernen Buchstaben in einer Sprache, die kein Sterblicher gehört hatte. Ihm entgegen schritt ein eisgrauer, ehrwürdiger Mönch mit einem mächtigen Schlüsselbund, ganz in ein großes Buch vertieft. Eine ungeheure Pforte flog klirrend und prasselnd auf, und auf einer schönen Wiese stand eine unendliche Kirche mit zweihundert Altären und mehr als dreißig Orgeln. Zweimal dreihundert Mönche sangen die Horen. Darauf schlug die große Glocke markerschütternd und doch lieblich an, und aus allen Winkeln kam zahlloses Volk zum Hochamt.

Nach dem Gottesdienst bewirtete der Mönch den Reichenhaller Bürger köstlich und führte ihn umher in den Wendungen des Berges. Da sah er Barbarossa, der einst in den Papsthändeln Salzburg mit Feuer und Schwert verwüstete, unter betäubendem Kriegslärm, Trommelwirbel und Trompetengeschmetter und wehenden Fahnen; dann wieder in einsamer Majestät Karl den Großen mit dem langen Silberbart. Reicht der das zweitemal die ganze lange Tafel herum, so bricht der Jüngste Tag herein. – Lustwandelnd begegneten sie auch vielen unlängst verstorbenen Bayernfürsten, Herren und Frauen, Salzburger Erzbischöfen, Pröbsten von Berchtesgaden und St. Zeno.

Auf die Frage, was diese hier täten, gab das Mönchlein dem Reichenhaller Bürger eine solche Maulschelle, daß er glaubte, alle neun Chöre der Engel singen zu hören, und diesen Backenstreich bis an sein Lebensende verspürte. Doch wurde der Mönch wieder freundlich und schlug ihm uralte, mächtige Bücher auf aus Tierhäuten und Baumrinden. Darin stand vieles von den Strafen der Gottlosen, von Türken und Schweden, vom Greuel der Verwüstung, daß die Wölfe wieder in die Städte dringen und in Salzburg ihre Jungen hinter St. Ruperts Altar legen würden; von zwei großen Schlachtfeldern am Rhein und auf den Walserfeldern bei Salzburg und wie zuletzt Barbarossa mit den Seinen aus dem Bergesdunkel steigen und den Sieg entscheiden werde. – Dann zeigte der Mönch dem Reichenhaller Bürger die zwölf betretenen Ausgänge aus dem Untersberg in verschiedenen Gegenden. In einer davon wies er ihm einen dürren Birnbaum, der schon einmal umgehauen worden sei, aber aus der Wurzel frisch wieder ausgetrieben habe. Wenn der wieder umgehauen werde und noch einmal grüne und Früchte trüge, werde ein wehrhafter Bayernfürst zu dem Baum treten, seinen Schild daran hängen, über alle Neider und Widersacher siegen und Bayern groß machen.

Gütig entließ der Mönch den Reichenhaller Bürger auf den alten Weg. Bei jäher Todesstrafe verbot er ihm, sich umzusehen und bevor fünfunddreißig Jahre verflossen wären, etwas von diesen Geschichten irgendeiner lebenden Seele zu offenbaren.

 


 


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