Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Waldmann

Von A. v. Chamisso

                  Der Wandrer eilt das Tal hinauf,
Er steigert fast den Schritt zum Lauf,
Der Pfad ist steil, die Nacht bricht ein,
Die Sonne sinkt in blut'gem Schein,
Die Nebel ziehn um den Drachenstein.

Und wie er bald das Dorf erreicht,
Ein seltsam Bild vorüberschleicht,
Gespenstisch fast, unheimischer Gast –
Drückt ihn annoch des Lebens Last?
Gewährt das Grab ihm keine Rast?

»Ihr friedlichen Leute, was zaget ihr
Und kreuzigt euch und zittert schier?« –
»Ob mir das Haar zu Berge steigt,
Ich sag's dir an, wenn alles schweigt:
Es hat der Waldmann sich gezeigt.«

»Der Waldmann?« – »Ja, du wirst nicht bleich,
Du bist hier fremd; ich dacht' es gleich!
Ich bin ein achtzigjähr'ger Mann
Und war ein Kind als sich's entspann;
Ich bin's, der Kunde geben kann.

Die Drachenburg stand dazumal
Stolz funkelnd noch im Sonnenstrahl,
Da lebte der Graf in Herrlichkeit,
Bei ihm, bewundert weit und breit,
Das junge Fräulein Adelheid.

Der Schreiber Waldmann, höflicher Art,
Trübsinnig, blaß und hochgelahrt,
Erfreute sich der Gunst des Herrn;
Er sah das Fräulein gar zu gern,
Und der Versucher blieb nicht fern.

Zu reden wie er kein andrer verstund;
Er webte fein mit falschem Mund
Das Netz, womit er sie umschlang,
Er sprach von Lieb', er sprach von Rang,
Von freier Wahl und hartem Zwang;

Von Gott und Christo nebenbei
Und Sündenhaftes allerlei.
So hat er sie bestürmt, geplagt,
Gequält, umgarnt, sei's Gott geklagt,
Bis sie ihm Liebe zugesagt.

Spät ward's dem Vater hinterbracht,
Sein Zorn, sein Mitleid sich erwacht;
Sein Kind Erbarmen bei ihm fand,
Der falsche Schreiber ward verbannt,
Bei Leibesstrafe von Burg und Land.

Schön Adelheid in Tränen zerfloß
Der Waldmann aber irrt um das Schloß;
Er kannt' nicht Ruh', er wußt' nicht Rat,
Er wütete, brütete früh und spat
Und sann auf schauerliche Tat.

Er sandt' ihr heimlich einen Brief,
Wovor es kalt sie überlief:
»Zusammen sterben« – hieß es darin –,
»Getrennt zu leben, bringt keinen Gewinn;
Nach einem Dolchstoß steht mein Sinn.

Du schleichst zur Nacht aus des Schlosses Raum
Und stellst dich ein beim Kästenbaum;
Bestellt das Brautbett findest du,
Das Bett zu langer, langer Ruh',
Am Morgen deckt dein Vater uns zu.«

Und wie in schwerem Fiebertraum
Zog's sie zu Nacht nach dem Kästenbaum;
Ob da sie selbst den Tod begehrt,
Ob widerstrebt, ob sich gewehrt –
Die Nacht verbirgt's, kein Mensch es erfährt.

Der Tag, wie er im Osten ergraut,
Das blut'ge Werk hat er geschaut:
Er hat in der Geliebten Brust,
Die Liebe nur atmet und süße Lust,
Den Dolchstoß sicher zu führen gewußt.

Wie aber sie sank in seinen Arm,
Ihr Blut verspritzte so rot und warm,
Da merkt' er erst, wie das Sterben tut,
Da ward er feig, da sank sein Mut,
Da dünkt' es ihm zu leben gut.

Er hat die Leiche hingestreckt
Und ist entflohn und hat sich versteckt.
Es war das Schrecknis offenbar,
Wie kaum die Arme verblichen war;
Der Vater zerraufte sein greises Haar.

Er hat dem Mörder grausig geflucht,
Dem Tod' zu entkommen, der drohend ihn sucht.
Er hat das Grab der Tochter bestellt,
Er hat sich bald zu derselben gesellt;
Sein Stamm verdorrt, die Burg zerfällt.

Der Waldmann dort bei den Gräbern haust,
Beim Kästenbaum, wenn der Sturm erbraust,
Gespenstig fast, unheimlicher Gast;
Drückt ihn annoch des Lebens Last?
Gewährt das Grab ihm keine Rast?

Man weiß es nicht. Doch wann er steigt
Hinab zu Tal, im Dorf sich zeigt,
So folgt ihm Unheil auf dem Fuß,
Verderben bringt sein ferner Gruß;
Und wen er anhaucht, sterben muß.«

 


 


 << zurück weiter >>