Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Heinrich Findelkind

Von J. G. Seidl.

            Einst fand der Mayr von Kempten
Ein Kindlein vor der Tür.
»Hab'«, spricht er, »neun im Hause,
Bleibst du als zehntes hier!

Verdarb von Bürgschaft wegen
Zwar längst an Gut und Geld,
Will's tun um Gottes Segen,
Nicht um den Dank der Welt.«

Das Kindlein wächst zum Knaben,
Heißt Heinrich Findelkind,
Ißt, wenn die neun was essen,
Darbt, wenn sie hungrig sind.

Einst sprach der Mayr: »Ihr Jungen,
Halb schlag ich euch nun aus;
Ihr ältern fünf, ihr gehet
Und sucht euch fern ein Haus;

Ein Haus und gute Menschen,
Es gibt wohl beides noch;
Arbeitet, dient und betet,
Und tragt des Herren Joch.«

Der eine geht nach Süden,
Der andre zieht nach Nord,
Der dritte schreitet nach Westen,
Nach Osten der vierte fort.

Der fünfte, der Heinrich, wandert
So hin zwischen Berg und Strom,
Da kommt er zu zwei Mönchen,
Die pilgern gegen Rom.

»Wohin des Weges, du Knabe?« –
Er sieht sie an und spricht:
»Weiß es der Weg nicht besser,
So wissen wir's beide nicht.«

Den Adlerberg schon klettern
Die drei hinan und hinab;
Da lassen in einer Hütte
Sie ruhn den Wanderstab.

»Wo wollt ihr hin mit dem Knaben?«
Spricht Jacklein, das war der Wirt.
»Wollt ihr bei mir ihn lassen,
Wohlan, so sei er mein Hirt.

Zwei Gulden hab' er im Jahre!« –
»Was er tut, das ist gut!«
So ward der Heinrich Hirte,
Des hatt' er frohen Mut.

Zehn Jahre trieb er munter
Die Herde auf und ab
Und dünkte sich ein König
Mit seinem Hirtenstab.

Und rief die Glock' am Sonntag
Den Wirt zur Messe wach,
Da ging er mit ihm zur Kirche,
Trug stolz das Schwert ihm nach.

Da brachte vom Adlerberge
Man oft ins Tal viel Leut',
Die droben der böse Winter
In dunkler Nacht verschneit

Und denen die Vögel die Augen
Wohl ausgegessen zum Fraß
Und abgebissen die Kehle;
Ein Anblick war's gar kraß.

Das Herz im Leibe zuckte
Dem Heinrich vor Mitleid drob!
Er dachte: »Könnt' ich's wenden,
Das brächte mir Gottes Lob.«

Er hat mit dem Hirtenstabe
Sich fünfzehn Gulden verdient.
»Wenn Gott will, wird es genügen!«
Dacht' Heinrich Findelkind.

»Wenn Gott will, wird es genügen
Für Rettung aus Sturm und Not,
Daß nicht die Leute verderben
Bei Nacht und Winter im Tod.

Wie einer an mir sich erbarmte,
So will ich's an andern auch!«
Er bettelt bei vielen Menschen,
Doch Geben ist seltner Brauch.

»So soll Gott«, spricht er, »mir helfen
Mit seiner mächtigen Hand!
So soll mir Sankt Christoph helfen,
Der Schirmer zu Wasser und Land!«

Mit seinen fünfzehn Gulden
Begann er's im ersten Jahr;
Und sieben Menschenleben
Erkauft' er damit aus Gefahr.

Drauf zog er ins biedre Deutschland,
Hat er manch Herz erweicht;
Drauf zog er ins reiche Böhmen,
Da war das Bitten leicht.

Drauf zog er ins stolze Hungarn,
Da erntet' er reichen Zoll,
Drauf zog er ins wald'ge Polen,
Da ward sein Säckel voll.

Bald ist ein Bund gestiftet
Von Heinrich, dem Findelkind,
Ein Bund, des Glieder Grafen
Und Fürsten und Herzöge sind.

Schon preisen ihn fünfzig Pilger
Als Lebensretter laut;
Schon steht auf dem Adlerberge
Ein Pilgerhaus erbaut.

Schneereifen an den Füßen,
Allabends geht er hinaus
Und ruft mit seinen Knechten
Viermal in den Schnee hinaus.

Und meldet sich wo ein Verirrter,
Den tragen sie rettend hinein,
Dort mag er bis an den Morgen
Gewärmt und gespeiset sein.

Bald steht auch ein schmuckes Kirchlein,
Hoch auf des Berges Rand,
Dem heiligen Christoph geweihet,
Dem Retter zu Wasser und Land.

Das sagt noch dem späten Enkel
Vom Heinrich Findelkind,
Wie stark auch kleine Kräfte
Bei großem Willen sind.

Das sagt noch dem späten Enkel:
»Schau nicht auf Gut und Geld,
Wer wohltut Gott zur Ehre,
Tut's auch zum Dank der Welt!«

 


 


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