Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die goldene Windfahne

Nicht weit von Gingen, der einstigen reichsfreien, jetzt württembergischen Landstadt, erheben sich auf einem Hügel die Trümmerhaufen der Güssenburg mit noch dreizehn Schuh dicken Mauern, besonders im Glanz der Abendsonne malerisch anzusehen. Diese Burg besaß im fünfzehnten Jahrhundert Hans Güß von Güssenburg vulgo Mordhans und, wie dieser Beiname sagt, ein böser und gefährlicher Kumpan, dessen größte Freude war, Kaufleute und Reisende, die ihr Weg an seiner Burg vorbeiführte, zu überfallen, auszuplündern und gefangen in sein Raubnest zu schleppen. Nur gegen bedeutendes Lösegeld öffnete sich ihnen die Tür des Kerkers wieder, wenn sie dem Ungemach der Gefangenschaft nicht erlegen waren.

Die benachbarten Handelsstädte gaben sich alle Mühe, den Bösewicht in ihre Gewalt zu bekommen; doch vergeblich. Zwar war es den Ulmern schon einmal gelungen, ihn gefangenzunehmen, aber der Burgvogt der Güssenburg schickte den Kopf eines mit mehreren anderen Ulmern gefangenen Kaufmanns in die Reichsstadt mit der Kundmachung, wenn sein Herr nicht binnen achtundvierzig Stunden frisch und gesund auf der Burg eintreffe, werde er allen übrigen Gefangenen das Haupt abschlagen lassen.

Dies wirkte, und bevor noch die Frist verstrichen war, war der Mordhans wieder in seinem Schloß und preßte aus den Gefangenen eine solche Summe Geldes heraus, daß er davon auf ein Zinnentürmchen seines Schlosses eine Windfahne von lauterem Gold, einen Drachen darstellend, machen lassen konnte. Ungewarnt und ungebessert setzte er sein ruchloses Treiben fort und achtete nicht der ewigen Wahrheit, daß jegliches irdische Tun seinen Zielpunkt hat, wo es heißt: Bis hierher und nicht weiter!

Die Nähe der Güssenburg war den Lauingern eine recht verdrießliche Nachbarschaft, und die Bürger knüpften ohne weiteres mit den Ulmern und anderen heimlich Unterhandlungen an, das Raubnest zu zerstören. Besonders tätig war bei diesem Unternehmen ein Lauinger, um seiner Profession willen der Schlosser Peter genannt, der lange im Feld gedient hatte und eben erst recht mit der in Gebrauch kommenden Artillerie und in Verfertigung von allerlei Waffen und Mordmaschinen sehr erfahren war.

Er verfertigte eine Maschine, die er mit feinstem Schießpulver eigener Komposition füllte und dann schwor, mit dieser das ganze Tor der Güssenburg, und wenn es auch noch zehnmal stärkere Eichenbohlen habe und aus noch mehr Eisen bestehe, über den Haufen zu werfen gleich einem Garbenbündel. Seinem oft bewährten Wort vertrauend und lüstern nach der Beute des Schlosses, verbanden sich viele Bürger und zogen mit ihm. Und am Vorabend des Tages St. Johannes' des Täufers 1448 zogen abends die Bürger von Lauingen aus; hinter ihnen wurden, damit niemand die bedrohte Burg warnen könnte, die Stadttore geschlossen, und niemand wurde mehr hinausgelassen.

Auf den Abend folgte eine regnerische und stürmische Nacht, und außer der ausgestellten Hochwacht lag auf der bedrohten Burg alles im Schlaf. Den Lauingern war es gelungen, die Höhe der Feste zu ersteigen, und an deren Mauern gedrückt, harrten sie der Öffnung des Eingangs, um Brand und Mord hineinzutragen. Behutsam arbeitete der Schlosser Peter an dem Tor, und die Horcher glaubten das Geräusch von Schrauben zu vernehmen.

Es war schon Mitternacht vorüber, als er endlich mit seiner Arbeit fertig war, hinter den Vorsprung der Mauer eilte und leise rief: »Jetzt gilt's; seid bereit!«

Nun erscholl Geräusch wie von einer ablaufenden Weckuhr, dann auf einmal eine hell aufblitzende Feuerlohe und ein erschütternder Knall, und die beiden riesigen Torflügel lagen in Splittern im Schloßhof, und die Bürger stürzten voll Blut- und Beutelust hinein. Sie trafen wenig Widerstand, denn die furchtbare Explosion und der unvermutete Überfall hatten alles außer sich gebracht; und da die Burg schnell an allen vier Ecken in Brand gesteckt wurde, so war das Schreckensschauspiel bald ausgespielt. Weit durch das Brenztal hin verkündeten die auflodernden Türme Fall und Zerstörung der Feste.

Der Mordhans war, als er im Hemd mit einem Streitkolben bewaffnet auf dem Burghof erschienen, gleich am Anfang des Kampfes erschlagen worden; seine Leute hatten sich meistens geflüchtet. Als die schwer mit Beute beladenen Bürger sich zum Abzug bereitmachten, fehlte der Schlosser; und er erschien erst spät, nachdem er mehrmals der Gefahr ausgesetzt gewesen war, von stürzenden Balken erschlagen zu werden oder im Rauch zu ersticken. Auf seiner Schulter trug er stolz die goldene Windfahne, die er von ihrem Standpunkt herunterzubringen gewußt hatte. Obwohl mehrere der Bürger verwundet wurden, so war doch nur einer erschlagen worden – ein Handwerksgeselle aus einem fernen Ort, um den sich niemand kümmerte.

Unter den entflohenen Burgleuten befanden sich auch die beiden Töchter des Mordhans, die später jedes Jahr nach der Stätte der elterlichen Heimat wallten und des Vaters Tod und die Zerstörung der Burg bejammerten. Man will sie als Gespenster noch immer in der Nacht vor St.-Johannes-Tag in den Ruinen wandeln sehen, in denen man häufig Pfeilspitzen, Nägel etc. findet, und acht bis sechzehn Schuh hoch ist der Boden mit Brandtrümmern bedeckt. Die noch stehenden Mauern sind zum Teil aus rotem Marmor erbaut, was merkwürdig ist, da es heutzutage in der Gegend keinen Marmorbruch mehr gibt.

Der Schlosser Peter hätte seine wertvolle Beute oft verkaufen können, aber er sagte immer: »Nach meinem Tod will ich's dem vermachen, der mir im Leben der liebste war!« Und jedermann schmeichelte ihm nun, in der Hoffnung, das wertvolle Kleinod zu erben; doch als er endlich hochbetagt starb, da fand man in seinem Testament, die goldene Windfahne schenke er der Stadt, sie möge diese auf den eben vollendeten Hofturm setzen lassen. Wenn man jedoch um des edlen Metalles willen Bedenken trage, so habe er eine gleiche Windfahne von Messing eigener Erfindung verfertigt, die von dem Original kaum zu unterscheiden sei.

Eine dieser Windfahnen wurde wirklich auf den Turm gesetzt; ob es aber die echte oder jene von Messing war, konnte man nie erfahren.

 


 


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