Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Das Geißtor zu Kaufbeuren

Um die Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts im Kampf der Städte gegen die Fürsten zog Herzog Teck von Mindelheim mit vielem Kriegsvolk gen Kaufbeuren und belagerte die Stadt. Tapfer verteidigten sich die Bürger, wohlverwahrt hinter Mauern und Türmen. Indessen brach eine Hungersnot aus, denn unversehens war der Mindelheimer vor die Stadt gekommen; man konnte nur die Tore schließen, aber keine Getreidevorräte mehr für eine lange Belagerung schaffen. Die Bedrängnis war groß.

Da machte sich eines Tages ein alter Weber, dem die Jahre den grauen Bart schon völlig weiß gebleicht hatten, neugierig, aber schüchtern auf die Stadtmauer und lugte durch eine Schießscharte zum Feind ins Feld hinaus. Auf einmal sieht er ein rasches Bewegen im Lager und die Fähnlein immer weiter und weiter ziehen, bis sie endlich ganz seinem Auge entschwinden. Allgemeines Staunen in der Stadt über den unbegreiflichen Vorgang.

Erst später erfuhr man, daß die Belagerer den alten Weber mit seinem weißen Bart für einen Geißbock gehalten und daraus entnommen hatten, die Stadt, die sie wegen ihrer Festigkeit und tapferen Gegenwehr nur durch Hunger erobern konnten, müßte noch bedeutende Vorräte an Lebensmitteln haben. Das Tor, wo der Weber hinausschaute, wurde von der Zeit an das Geißtor geheißen. Auch nachdem es längst abgebrochen ist, erinnert noch das daranstoßende Wirtshaus des »Geißwirts« an die Geschichte.

 


 


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