Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die Dohle mit dem Ring

Gegenüber der neuen Post in München erblickt man auf einem der vorstehenden Hausgiebel statt des gewöhnlichen Windfähnleins eine Dohle, die, einen Ring im Schnabel haltend, ihre ausgebreiteten Fittiche dem Wind entgegenhält, der sie auch hin und her dreht mit abenteuerlichem Knarren. In früheren Zeiten wohnte im Frauziskanerbäckenhaus, dem Palast der Törring-Guttenzell gegenüber, im zweiten Stock der kurfürstliche Hofrat von Lander, dessen Nichte in der Klosterschule bei St. Jakob am Anger erzogen wurde. Diese lernte hier die Tochter des Klostergärtners kennen und gewann das sanfte, schuldlose Mädchen so lieb, daß sie nicht nachließ mit Bitten, bis ihr das Gärtnermädchen zur Gespielin heimgegeben würde.

Einst befand sie sich auf der Jahrestagung der Gärtner in der Kalten Herberge, wo sie Festkönigin war, als sie plötzlich von Gerichtsdienern verhaftet und in ein Gefängnis gebracht wurde. Man hatte nämlich schon seit geraumer Zeit zwei Ringe vermißt, und jetzt fehlte auch der dritte, ein sehr wertvoller Brillantring des Hofrats.

Niemand wußte, wohin sie gekommen waren, da verstand es der Sohn des Hofrats, den Verdacht auf das Gärtnermädchen zu bringen, indem er die Kapsel des Rings, die er gefunden hatte, in ihren Kasten warf, um sich auf diese Art an ihr zu rächen, weil sie seine zudringlichen Liebesanträge verschmäht hatte. Der Schein war durchaus gegen sie, also verfuhr man mit der ganzen Strenge des Gerichts gegen die Unschuldige.

Auf dem erwähnten Gärtnerfest in der Kalten Herberge befanden sich auch ein geistlicher Rat und sein Bruder, ein Domherr, beide aus altadeligem Geschlecht; diese hatten die Verhaftung des armen Mädchens mit viel Mitleid angesehen. Beide wohnten im Hintergebäude des Franziskanerbäckenhauses und sahen an demselben Tag, als das Mädchen zur Folter gebracht werden sollte, zusammen hinab in den kleinen Hof, wo eben ein Maurer, Vater von sieben Kindern, Kalk bereitete, um das schadhafte Dach auszubessern. Da fällt plötzlich ein Geldstück, ein neugeprägter Pfennig, auf die Kalkschaufel des armen Maurers, der es für ein Geschenk der beiden alten Herren hielt und sich bei ihnen dafür bedankte. Jene aber sahen gar wohl zu derselben Zeit einen schwarzen Vogel in das halbgeöffnete Fenster eines Zimmers fliegen, aus dem er bald mit einer Münze im Schnabel zurückkehrte.

Blitzschnell durchzuckte den Domherrn der Gedanke, auch der vermißte Ring könne auf solche Weise abhanden gekommen sein. Er schreibt also gleich an den Richter, meldet das Geschehene und bittet, eine Gerichtskommission in sein Haus zu schicken, um sich von der Wahrheit der Aussage zu überzeugen. Das geschieht; nach einer Viertelstunde kommt der Vogel wieder, so daß ihn die Kommission selbst hineinfliegen und Münzen entwenden sieht.

Man verfolgt nun sogleich den Flug des Räubers, entdeckte auch sein Nest und darin die Ringe nebst mehreren goldenen Schaumünzen und einer großen Menge ganz neuer glänzender Pfennige. So war die Unschuld der Gärtnerin vollkommen dargetan, und auf so großes Leid folgte große Freude, weil auch der Kurfürst und seine erlauchte Gemahlin an dem seltsamen Vorfall Anteil nahmen. Auf dem Dachgiebel aber wurde zum Andenken an jenes Ereignis die Dohle mit dem Ring im Schnabel dargestellt, wie noch heute zu sehen ist.

 


 


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