Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Frau Hulle

Auf dem Schellenberg zwischen Heimbuchenthal und Wintersbach stand vorzeiten ein Schloß und im Schloßhof ein Lindenbaum. Der war sehr groß und schön, und es ging die Sage, solange der Lindenbaum stehe und grün sei, werde das Schloß auch stehen; wenn er aber dürr und abgängig würde, würde das Schloß verfallen, und die Herrenleute würden ins Abwesen geraten.

In dem Schloß nun lebte einmal ein Schloßherr, der hatte zwei Söhne. Der älteste war sehr groß und schön, der jüngste aber war klein und häßlich. In seiner Jugend hatte er sich einmal das Bein gebrochen, und man nannte ihn darum nur den krummen Jakob. Als nun der Schloßherr sein Ende nahen fühlte, ließ er sie beide vor sein Bett kommen, übergab dem einen als dem Erstgeborenen das Schloß und eine große Kiste mit Geld und ermahnte ihn, den Jakob bei sich zu behalten, zeitlebens ihm brüderlich zu begegnen und es ihm an nichts fehlen zu lassen.

Das versprach nun der Älteste mit Hand und Mund; als aber der Vater gestorben war und er das Schloß übernommen hatte, hielt er's nicht, vielmehr behandelte er den Bruder schlechter als den geringsten Taglöhner. Er ließ ihn nicht mit sich am Tisch essen und nicht in seinem Schloß wohnen, sondern er mußte im Stall bei den Pferden schlafen und mit den Hunden aus einer Schüssel essen.

Da ging der Jakob, als er sah, daß der Bruder kein brüderliches Herz gegen ihn habe, eines Tages zu ihm und verlangte sein Erbe, denn er wollte sein Glück weiter suchen; der Schloßherr aber gab ihm nichts, sondern schlug ihn und ließ ihn zum Schloß hinauswerfen.

Also geht der krumme Jakob traurig fort in den Wald, immerzu bergauf, bergab, und wie er ins Tal kommt, wo heutzutage die Kartause steht und die alte verfallene Kirche, ist's Abend, und er setzt sich unter einen Baum, legt den Kopf in die Hände und weint bitterlich. Wie er wieder aufstehen will, sitzt gegenüber auf einem Stein eine alte Frau mit grauen Haaren und runzligem Gesicht, die spinnt; und wie sie das Rad tritt, nickt sie in einem fort dazu mit dem Kopf – das war die Frau Hulle. Sie hatte eine kleine Platthaube auf dem Kopf, wie sie die alten Weiber sonst in die Kirche aufzusetzen pflegten, und ein ebensolches schwarzes wollenes Mützchen, das nur bis knapp unter die Ellenbogen ging, und darunter vom Ellenbogen bis an die Hände weiße Stauchen. Sie fragt ihn, warum er so traurig sei.

Er aber sagt: »Ihr könnt mir doch nicht helfen!« und will weiter.

»Du bist der krumme Jakob aus dem Schloß«, sagt sie; »ich kenne dich und deinen Bruder und will dir wohl und kann dir helfen, wenn du mir das Zutrauen schenken willst.«

Da ging dem krummen Jakob das Herz auf – denn seit seines Vaters Tod hatte noch kein Mensch freundlich ihm zugeredet –, und er klagte, daß sein Bruder ihn so schlecht behandelt und daß er ihm sein Erbe vorenthalten habe und ihn wie einen Bettler aus seinem väterlichen Schloß hinausgeworfen hätte.

Die Alte aber sagte: »Komm mit mir; nach drei Jahren wollen wir wieder zu deinem Bruder gehen, vielleicht reut's ihn bis dahin, und er gibt dir dein Eigentum.«

Der Jakob ließ sich das gern gefallen, und sie nahm ihn mit sich in ihr Häuschen und gab ihm auf, ihren Rosmarinstock zu gießen und ihre Katze zu füttern und ihr Flachsfeld zu bebauen, und im Winter mußte er Pfahlstecken schneiden für die Weinbergbauern und Schiffsstangen für die Schiffsleute, und im Frühjahr trug er sie an den Main, um sie zu verkaufen. Wenn die rechte Zeit dazu gekommen war, nahm die Frau Hulle ihren Spinnrocken in die Hand als Gehstock und ihre Kötze (Huckelkorb) auf den Rücken, und sie packte ihr Garn hinein, um es auch zu verkaufen, und ging mit; und wenn dem Jakob die Pfahlstecken und Schiffsstangen zu schwer wurden wegen seines lahmen Beines, nahm sie ihm die Last ab und warf sie mit ihren dürren Armen oben auf die Kötze, als wenn's Strohbürden wären. Zwischen Hasloch und Faulbach aber ist hart am Weg ein Stein, dort ruhte sie jedesmal aus, und wo ihre Kötze mit den Füßen aufstand, sind die Löcher davon heute noch zu sehen.

So hatte es der Jakob recht gut bei ihr; dabei lehrte sie ihn alle Bauernarbeit, so daß er sich zuletzt besser darauf verstand als ein geborener Bauer.

Als aber die drei Jahre um waren, sagte die Alte: »Komm, nun wollen wir zu deinem Bruder gehen!« Und sie nahm ihren Spinnrocken in die Hand und die Kötze auf den Rücken, und der Jakob ging mit.

Den Bruder fanden sie im Schloßhof unter der Linde sitzen, denn es war sehr schwül an dem Tag, und die Linde blühte und gab einen großen Schatten, und die Vögel sangen in ihren Zweigen. Wie sie herankommen, fragte er sie nach ihrem Begehr, und die Frau Hulle nimmt das Wort für den krummen Jakob und sagt, sein Bruder sei da und wolle, was ihm gehöre. Der Schloßherr aber flucht und sagt, wenn sie nicht gleich gingen, wolle er ihren alten wackeligen Kopf herunterreißen und dem Krummen das andere Bein auch noch lahm schlagen.

Da wurde die Alte sehr zornig, nahm ihren Spinnrocken und stieß ihn in die Linde, und als dies geschehen war, flogen die Vögel auf, und der Baum fing an zu zittern von der Wurzel bis zum Gipfel, und aus dem Stamm und den Ästen und Zweigen lief der Saft und tropfte auf den Boden, und die Blätter wurden gelb und fielen ab, und die Frau Hulle sagte: »O du arger Bösewicht, sieh her! Wie dem Lindenbaum, so soll es dir gehen und deinem Haus – so sollst du verdorren und verschmachten und absterben und kein Glück mehr haben ewiglich!« Dann ging sie mit dem Jakob von dannen.

Wie sie gesagt hatte, so geschah's. Als der Lindenbaum verdorrt war, da hielt das Schloß nicht mehr. Sooft es stürmte, fiel auch ein Turm oder eine Mauer ein, und der Regen schwemmte die Steine hinweg, so daß man's nicht mehr aufbauen konnte. Kein Mensch wollte mehr im Schloß bleiben, und der Schloßherr wohnte im Keller – dort stand die Geldkiste, und von der wollte er sich nicht trennen, sondern er hütete sie Tag und Nacht. Zuletzt, als nichts mehr vom Schloß übrig war als der Keller und der verdorrte Lindenbaum, der vor dem Keller stand, kam auf Martini in der Mitternacht ein großer Sturm und warf den Lindenbaum auch um; der fiel gerade vor die Kellertür und versperrte den Ausgang, und der Schloßherr konnte die Tür nicht mehr aufbringen, wie er sich auch anstemmte und nach Hilfe schrie, und er mußte elendiglich auf seiner Geldkiste verhungern.

Die Frau Hulle aber wußte das alles gar wohl, und am Tag nach seinem Tod kommt sie, hebt den Lindenbaum weg, öffnet die Kiste und scheidet das Geld in zwei gleiche Teile; den einen läßt sie liegen, den anderen nimmt sie mit, und als sie aus dem Keller tritt, stürzt der auch zusammen. Daheim gibt sie dem Jakob das Geld und sagt: »So, jetzt hat jeder das Seine – er und du –, wie's der Vater befohlen hat. Nimm, was dein ist, aber den Edelmann schlag dir aus dem Sinn, und werde ein Bauer, so kannst du noch Glück haben. Leb wohl, mich wirst du jetzt nicht mehr sehen.«

Da nahm der Jakob Abschied und baute sich von dem Geld einen großen Bauernhof auf dem Hundsrück bei Altenbuch, nahm eine Frau und viele Knechte und Mägde und wurde ein großer Bauer. Keine Seuche kam in seinen Stall und keine Raupen auf seine Obstbäume und kein Hagelschlag über seine Felder. In der Erntezeit, wenn das Gesinde alle Hände voll zu tun hatte, damit das gute Erntewetter nicht verpaßt würde, geschah es oft, daß, wenn sie in der Früh aufs Feld kamen, die Arbeit schon getan war, daß die Garben alle geschnitten und gebunden und auf Haufen gestellt waren, daß man sie nur hineinzufahren brauchte. Die Leute sahen sich groß darum an – der Jakob aber wußte wohl, wer's getan hatte.

Als ihm sein erster Sohn geboren wurde und er's den Nachbarsleuten anzuzeigen ging, meinte er in seiner Freude, er müsse der Frau Hulla doch auch davon Meldung machen, und er machte sich zu ihr auf den Weg; aber wie er auch suchte und sich die Augen rieb, er konnte weder das Häuschen mehr finden noch das Tal, in dem das Häuschen gestanden war, und nachdem er den ganzen Tag vergeblich im Wald herumgelaufen war, fand er sich abends, als man die Lichter anzündete, wieder vor seinem Bauernhof.

Er ist in hohem Alter gestorben. Sein Hof steht noch, und der Bauer, der ihn heutzutage im Bestand hat, heißt der Hundsrücks-Philipp.

 


 


 << zurück weiter >>