Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Des Sängers Grab

Von J. F. Freiholz.

              Walther von der Vogelweide,
Echtes deutsches Sängerherz,
Wolltest nicht, daß man bereite
Dir ein Grab von kaltem Erz;
Nichts verlangst du von der Welt
Als ein luft'ges Baumgezelt
Daß der Vöglein muntres Singen
Noch zu dir ins Grab soll dringen.

Drum zu Würzburg beim Neumünster
Hat man dir ein Grab gemacht,
Nicht von Steinen trüb und finster,
Nur vom Himmel überdacht;
Einen Baum darauf gepflanzt
Daß du friedlich schlummern kannst;
Magst des Windes Liedern lauschen,
Die durch Ast und Laubwerk rauschen.

So wird tief im kühlen Raume
Immer dir der Frühling kund,
Denn dich weckt aus ros'gem Traume
Jedes Jahr der Vöglein Mund.
Von des Baumes Lebenssaft
Strömt auf dich auch Lebenskraft:
Deine ungesungnen Lieder
Blühn als Maienglöcklein wieder.

Kam mal einst ein Knab' gegangen,
Der die schönen Blümlein knickt
Und mit neidischem Verlangen
Nach den holden Sängern blickt.
Wie er süße Lockung gab,
Keiner läßt des Dichters Grab,
Drum will er den Baum besteigen,
Dann wird jedes Nest sein eigen.

Hoch zum Gipfel schon gestiegen
Hat er manches Nest zerstört,
Mag der Ast sich mahnend biegen –
Ihn hat falsche Lust betört.
Doch der Vögel Klaggeschrei
Lockt Herrn Walther schnell herbei;
Zürnend aus dem finstern Sitze
Steigt er nach des Baumes Spitze.

Seiner Vöglein Qualen haben
Bittre Tränen ihm erpreßt,
Und so steht er vor dem Knaben
Schützend bei dem letzten Nest.
Als der Knab' Herrn Walther sah,
Wußt' er nicht, wie ihm geschah;
Schrecken lähmte seine Glieder
Tot stürzt' er zur Erde nieder.

 


 


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