Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Die Jungfrau auf der Wegelnburg

Von Hermann Zapf. – Wegelburg, 1 Stunde von Schönau, südlich von Dahn. – Zwischen dieser Burg und der nahen Sickingenschen Feste Hohenburg zieht sich auf der Anhöhe ein ebener, waldiger Platz hin, vom Volk der »Stöckelgarten« genannt. Das war vorzeiten ein prächtiger Garten, worin die Ritter sich mit Kegelspiel vergnügten. Sie gebrauchten dazu ein goldenes Kegelspiel, das liegt jetzt noch in dem dortigen tiefen Brunnen begraben.

        Kennst du des Wasgaus steile Höh'n
Mit ihren Felsenkronen,
Mit Wäldern schattiggrün und schön,
Wo Trümmer stolzer Schlösser stehn,
Und Eul' und Habicht wohnen?

Dort stand auf hohem Felsengrund
Ein Schloß in alten Tagen,
Ich lauschte an der Leute Mund,
Horcht', was sie gern mir taten kund
Von seinen alten Sagen.

»Wer kommt zu guter Stunde hin
Auf jenes Berges Spitzen,
Dem tun sich Höhlen auf, und drin
Sieht er gar manchen Rubin
Und Gold und Silber blitzen.

Das Schönste aber, was er sieht,
Ist eine Jungfrau feine;
Die schönste, die im Lande blüht,
Mit reinem Leib, reinem Gemüt,
Doch scheint's , als ob sie weine.

Sie harrt schon viele hundert Jahr'
Des, der Erlösung bringe;
Doch obschon kam 'ne ganze Schar,
Die lüstern nach dem Golde war,
Der kommt nicht, der's erringe.« –

»Und ist die Lösung denn so schwer?« –
»Dreimal mußt du sie küssen;
Doch will sie prüfen dich erst sehr,
Ob du nichts andres liebest mehr
Als ihren Mund, den süßen.

Zuerst kommt sie als Schlange wild,
Mit feuersprüh'ndem Rachen,
Mit Höllenaugen – schrecklich Bild!
Willst lösen du die Jungfrau mild,
Mußt küssen diesen Drachen!

Und dann als giftgeschwoll'ne Kröt'
Mit riesenhaftem Leibe,
Als Scheusal dir erscheint sie schnöd;
Nur wer es küßt alsbald nicht blöd,
Der naht dem schönsten Weibe.

Dem ist sie eigen dann sofort;
O glücklich, wer's vollbrächte!
Der fände auch den reichen Hort,
Den größten Schatz an diesem Ort –
Wohl ihm, seinem Geschlechte!

Doch keiner hat es noch vollbracht,
So muß sie trauern immer;
Sie harret immer Tag und Nacht,
Das Harren hat sie müd gemacht,
Getrübt der Augen Schimmer.«

Ich stieg den hohen Berg hinan –
Er liegt an Frankreichs Grenzen –,
Ich sah die alten Trümmer an,
Ich sah des Rheines weiße Bahn
Und Straßburgs Münster glänzen.

Ich sah das liebe deutsche Land,
Wo sich die Berge dehnen
Hinab zum grünen Neckarstrand,
Im Glanz der Sonne licht entbrannt –
Da ward mein Aug' voll Tränen.

Mir fiel noch eine Jungfrau ein,
Gebannt seit alten Zeiten;
Es ruft das Volk, es rauscht der Rhein,
Noch keiner konnte sie erschrein,
Erlösung ihr bereiten.

Und täglich wächst noch ihre Schmach
Wer kommt sie zu erlösen?
Ach, seufzend harrt sie Tag um Tag,
Und keiner sie befreien mag
Mehr aus der Macht der Bösen.

 


 


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