Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Mechthildenbrünnlein bei Dießen

Von J. Braun.

            Nächtlich Dunkel hat zur Ruh'
Längst die Menschen eingewieget,
Alles schloß die Augen zu,
Von des Schlummers Macht besieget;
Alle Lichter sind verglommen,
In der Kirche nur allein
Leuchtet zum Gebet der Frommen
Noch der Ew'gen Lampe Schein.

Bei dem Klang der Mitternacht
Tönet von dem Chor die Mette;
Denn die Schar der Nonnen wacht
Kniend dorten im Gebete.
Sieh – da öffnen sich die Tore,
Eingehüllt in dunkles Kleid
Naht allnächtlich sich dem Chore
Eine demutsvolle Maid.

Sankt Mechthildis ist's, die leis
Kommt vom Schlosse hergegangen;
Ganz allein, kein Mensch es weiß,
Ohne Zagen, ohne Bangen.
Denn das nächtlich düstre Grauen
Wird erhellt von Liebesglut;
Und das fromme Gottvertrauen
Haucht ins zarte Herz den Mut.

Gott, der kennt der Seele Drang,
Sah auch dieses fromme Regen,
Und er gab dem nächt'gen Gang
Seinen hehren Wundersegen;
Sandte ihr zum Schutz und Horte
Einen Engel unsichtbar;
Die verschlossne Kirchenpforte
Leis von ihm geöffnet war.

Und es kam die Nacht heran
Düster, voller Grauen wieder
Auf Mechthildens stille Bahn
Schien kein klares Sternlein nieder;
Denn von Wolken ist umzogen
Rings das weite Himmelszelt,
Und das Brünnlein ward zu Wogen
Von dem Regen angeschwellt.

Dennoch zog zur Kirche hin
Sankt Mechthildis ohne Zagen;
Denn für himmlischen Gewinn
Wollte gern sie Mühsal tragen.
Aber sieh – der wilde Regen
Weitete des Brünnleins Lauf,
Und er hält auf ihren Wegen
Nun die fromme Jungfrau auf.

Vor dem Wasser steht sie da.
Soll sie zu dem Schlosse kehren?
Doch die Kirche ist so nah;
Nicht kann sie dem Herzen wehren.
Da gewahren ihre Blicke
Pfähle an dem Wiesenhang;
Eilends baut sie eine Brücke
Nun daraus im Herzensdrang.

Schreitet rasch darüberher,
Eilet hin zum heil'gen Orte;
Aber ach, nicht öffnet mehr
Selber sich die Kirchenpforte.
Da durchzucket ihre Seele
Plötzlich eine Schmerzensglut,
Und sie denket an die Pfähle,
Die sie nahm vom fremden Gut.

Demutsvoll die Stirn gesenkt,
Schlägt ans Herz sie, voller Reue,
Und die Schritte heimwärts lenkt
Sie im Schuldgefühl aufs neue.
Und es ist des Nächsten Habe,
Sei sie noch so arm und klein,
Ihr so heilig bis zum Grabe,
Gleich wie Gold und Edelstein.

Jetzt noch, nach so manchem Jahr,
Das im Zeitengang entschwunden,
Steht ihr Angedenken klar
In den Herzen lichtumwunden.
Und das Brünnlein in dem Grunde,
Das mit Pfählen sie belegt,
Jetzt noch in des Volkes Munde
Sankt Mechthildens Namen trägt.

 


 


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