Alexander Schöppner
Bayrische Sagen
Alexander Schöppner

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Der Küchelfresser in Hinterstein

Hinterstein, Filiale von Hindelang.

Von Hinterstein führt ein Fußsteig hinüber ins Tannheimer Tal, das schon österreichisch ist, dessen Bewohner aber ebensogut wie die Hindelanger zu den Urallgäuern gehören. Da drüben sind sehr arme Leute; viel ärmer als die Hintersteiner, die bei ihrer Genügsamkeit und Sparsamkeit recht gut auskommen und selbst den Armen aus der Umgegend Almosen reichen können.

Da ist denn auch einmal ein Bettelmann herübergekommen aus dem Tannheimer Tal oder gar aus Tirol nach Hinterstein, als man hier gerade die Kirchweih feierte. Der fing an, in den Häusern herum Küchel zu sammeln, bekam auch im ganzen 77 Küchel zusammen und außerdem auch noch, was er gerade notwendig hatte, um seinen allergrößten Appetit zu stillen. Die 77 Küchel schob er alle in seine Betteltasche, um sie nach Hause zu bringen und auf längere Zeit etwas zu haben. So machte er sich dann auf den Weg; nicht hungrig, aber auch nicht übersatt.

Als er den Fußsteig neben dem Wasserfall erreicht hatte, da wandelte ihn gleich in der ersten Krümmung schon eine Lust an nach den 77 Kücheln, und er meinte, er sollte jetzt wohl eines davon essen; auf eines käme es gerade nicht an. Und wirklich verzehrte er in der ersten Krümmung den Kuchen, der ihm aber so vortrefflich schmeckte, daß er in der zweiten Kehre zum zweiten griff und diesen mit ebenso großem Appetit verzehrte.

Und als er in der dritten Kurve das dritte und in der vierten das vierte der Küchel verzehrt hatte, da meinte er, es wäre doch eine nicht zu verachtende Herzstärkung, wenn er in jeder Kehre so eines von den Kücheln verzehren würde. Der Weg wäre dann lange nicht so langweilig, und bis er mit den 77 Kücheln fertig wäre, wäre er auch mit den 77 Krümmungen fertig und hätte das höchste erstiegen. Und so tat er denn auch wirklich, und als er die siebenundsiebzigste Krümmung erstiegen und das siebenundsiebzigste der Küchel gegessen hatte, da hat es ihm den Magen »verschränzt« oder »verrissen«, so daß er zerplatzte.

Die einen sagen so, die anderen sagen anders; aber darin kommen alle überein, daß er gestorben sei; ob am Essen oder am Steigen oder an beidem zugleich, kann man nicht bestimmt sagen. Und seit dieser Geschichte hütet sich jeder, der da hinaufsteigen muß, unterwegs etwas zu essen; er fürchtet, es gehe ihm wie dem Küchelfresser aus Tannheim.

 


 


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