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Oskar Wilde

Oskar Wilde, geb. 1855 zu Glasgow, gest. 1900 in Paris. Unter den l'art pour l'art-Künstlern, die der Literatur des letzten Jahrzehnts eine rein ästhetische Richtung zu geben suchten, steht Oskar Wilde an erster Stelle. Er ist von ihnen allen der feinste, gediegenste Dichter und zugleich der tiefste Mensch, und das verhängnisvolle Schicksal, dem er als Opfer der Philistrosität seiner Landsleute verfiel, gibt dem Gesamtbild seiner Kunst einen tragischen Zug von ergreifender Schönheit. Denn die Schöpfungen, die während und nach seiner Leidenszeit entstanden, zeigen eine Seele voll sozialen und tiefmenschlichen Empfindens, eine Seele, die der Dichter in der Zeit seiner gesellschaftlichen Ehrenlaufbahn hinter dem reinen Ästhetentum ängstlich zu verbergen suchte, wenngleich sie immer wieder aus den schönen, klang- und farbenreichen Worten seiner Dichtungen hervorleuchtete. Das große Verhängnis in Oskar Wildes Leben war seine homosexuelle Veranlagung, und mit ihr in engem Zusammenhang dürfte die oft hervortretende Überschätzung der äußeren Form und Linie stehen. Doch sei hervorgehoben, daß es Wilde nie beikommt, aus seinen Trieben in der Kunst den dichterischen Stoff zu entnehmen. Gestreift wird das Thema nur in dem prachtvollen Künstlerroman »Das Bildnis des Dorian Gray«, dem Buche, das recht eigentlich als Wildes ästhetisches Bekenntnis aufgefaßt werden kann. In allen übrigen Werken tritt wohl oft eine gewisse Perversität im Empfinden und Auffassen der Erscheinungen und Zustände hervor, aber nie in posierter oder affektierter Aufdringlichkeit. In der Form war Oskar Wilde Meister. Aber er schrieb seine Dichtungen nicht, wie so viele unter den deutschen Dichtern, die sich auf Wilde berufen, der Form wegen, sondern trug das, was er aus innerem Zwang heraus zu sagen hatte, in der prächtigsten formellen Gewandung vor. Und Wilde hatte etwas aus seinem Menschen heraus zu sagen. Wie tief und wahr empfunden sind seine »Märchen«! Aber all die klagenden Erzählungen, die nur ein Mitleidender erfinden konnte, schreiten in einer Sprache einher, die von schimmernder Pracht glänzt. Der gesellschaftlichen Moral und der Empfindungsweise der englischen Hautevolee stand er mit höhnender Verachtung gegenüber. Die malitiösen, aber unendlich fein pointierten Glossen, die er darüber machte, trug er in möglichst konventionelle Dramen zusammen, die dann gerade in ihrer trivial-geistreichen Mischung eine kostbare Parodie auf den Geschmack der oberen Zehntausend abgaben. Eine große Reihe von Gesellschaftsstücken dieser Art entstand auf solche Weise. »Ladys Windermere's Fächer«, »Eine Frau ohne Bedeutung« und einige andere noch werden auf deutschen Bühnen aufgeführt. Als eigentlicher Dramatiker trat Wilde nur in seinem großartig komponierten Einakter »Salome« auf. In der Gedrängtheit der Handlung, in der Pracht der Sprache und der Bühneneffekte, in der Zeichnung der Charaktere – als Drama, wie als Theaterstück – ist dieses Werk eine Meisterleistung. – Mitten aus den Tagen höchster Verehrung und Anerkennung, all des Ruhms, den seine Genießersehnsucht erstrebt hatte, riß Wilde sein Schicksal heraus, und warf ihn, umtobt von dem Spottgejohl derselben Menge, die ihn vorher bejubelt hatte, aller äußeren Achtung, seines Ruhmes und seines Vermögens beraubt, ins Zuchthaus. Er hatte die Möglichkeit zu fliehen, aber er tat es nicht. Was ihn davon zurückhielt, war nicht, wie so oft behauptet wird, ein falsches Ehrgefühl, es war vielmehr sein künstlerisches Gewissen, das ihn antrieb, alles, was das Leben brachte, kennen zu lernen, keinem neuen Eindruck aus dem Wege zu gehen, jedes Moment mit Dichteraugen zu erfassen und seelisch zu verarbeiten. Im Zuchthaus nun hielt Wilde Umschau in sich selbst; jetzt erinnerte er sich seines Menschen, seiner Eigenschaft als soziales Glied der Menschheit. Alle die Eigenschaften der Seele, die er vorher zu unterdrücken und zu bemänteln gesucht hatte, das Mitleid, der Freiheitsdrang, das revolutionäre Gewissen, erwachten in ihm mit unwiderstehlicher Macht, und jetzt beschloß er, seine Kunst neuen Aufgaben zuzuwenden, indem er sie in den Dienst der Menschheit stellte. Die Aufzeichnungen, die er über diese seelische Neuwerdung im Zuchthaus niederschrieb, und die kürzlich unter dem Titel »De profundis« erschienen, sind ein Menschenbekenntnis von erschütternder Tragik. Es entbehrt nicht eines rührenden Beigeschmacks, Wildes Versicherung zu vernehmen, er sei ein Anderer, Besserer geworden; seine Kunst, die früher nackter Egoismus gewesen sei, werde von jetzt ab seiner eigenen Wandlung gemäß eine soziale werden; während doch eine intimere Kenntnis seiner früheren Werke verrät, daß der büßende Wilde in sich selbst gar kein anderer ist als der herrschende und genießende Wilde. Nur eine Klärung seines eigentlichen Wesens war durch die Züchtigung bewirkt. Wie Wilde vorher schon ein ganz sozial empfindender Mensch gewesen war, so blieb er nachher ganz der Ästhet von ehedem. Das geht hervor aus seinen langen und scharfsinnigen, von heißer Bewunderung verklärten Ausführungen über die Person Christi, die er ganz als Künstler einschätzt und verehrt. In der Zeit seiner Gefangenschaft entstand außerdem noch die »Ballade aus dem Zuchthaus zu Reading«, ein Gedicht von packender Kraft, in dem er die Schicksale seiner Leidensgefährten schildert. Nach seiner Entlassung entstand »Die Seele des Menschen und der Sozialismus«, ein ausgezeichnetes Essay, in dem er den Kommunismus als Weg zur Befreiung der Menschheit vom Standpunkt der künstlerischen Individualität aus aufzeichnet. Die übrigen Werke, die er noch ausarbeiten wollte und deren Pläne er in »De profundis« entwirft, konnte er leider nicht mehr ausführen. Durch die furchtbaren Strapazen der zwei Zuchthausjahre war er körperlich gebrochen und starb als Opfer englischer Prüderie.

E. M.


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