Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[181] An Frau von Belsunce

Neapel, den 7. November 1778

Ach, welch feine Nase Sie haben, holde Vicomtesse: Sie haben gewiß gefühlt, daß ich Sie gestrichen und Ihnen sogar das Amt einer Neuigkeitskrämerin an Mamas Stelle abgekauft hätte, wenn Sie im gleichen Ton weitergeschrieben hätten. Ich nehme Ihren Widerruf an, vorausgesetzt, daß Sie fortfahren, für Mama kühles Wetter, viel Schlaf, viel Opium, Fett und italienische Musik zu besorgen. Gewiß sind es Caribaldi und La Frascatana, die sie gesund gemacht haben. Nun aber müssen Sie wissen, daß man zu der Zeit, da man La Frascatana an Ihrer Oper gab, sie auch hier aufführte, und ich, der ich nichts von dem wußte, was sich in Paris zutrug, brannte vor Verlangen, man möge dort das erste Finale und besonders die Stelle Momente più funesto spielen; ich sagte zu mir selbst: wenn die Pariser dieses Wunder an musikalischer Wirkung hören, werden Sie verrückt; ich sprach wahr, denn Paesiello ist dem Piccini unendlich überlegen im Kontrapunkt; daher ist er, der seiner Natur mit der Kunst zu Hilfe kommt, des Erfolges sicherer. Übrigens sind aus den Händen Piccinis Stücke des reinen Naturtalents hervorgegangen, die weder Paesiello noch irgendein anderer Sterblicher erreichen wird. Das Duett in der Buona Figliuola, ein Satz in der Oper »Alessandro«, und ein gewisses Quintett in einer neapolitanischen Oper »I Viaggiatori« sind drei Stücke, die für immer unerreichbar bleiben werden; aber diese Stücke sind, wie Sie sagen, selten; Piccini ist nicht immer des Erfolges sicher; Paesiello ist ein solch guter Musiker, daß er aus allem Gewinn ziehen kann.

Sie schreiben den Untergang der Heiterkeit der Sittenverderbnis zu; ich möchte ihn lieber der fabelhaften Vermehrung unserer Kenntnisse zuschreiben: durch unsere Aufklärung haben wir mehr Leere als Volle gefunden, und im Grunde wissen wir, daß unendlich viele Dinge, die unsere Väter für wahr hielten, falsch sind; aber wir wissen sehr wenig wahre, die ihnen unbekannt waren. Diese Leere, die in unserer Seele und in unserer Phantasie zurückgeblieben, ist, meiner Meinung nach, die wirkliche Ursache unserer Traurigkeit:

Le raisonner tristement s'accrèdite;
Ah, croyez-moi, l'erreur a son mérite.

Das sind die schönsten Verse und der erhabenste Gedanke des unsterblichen Voltaire.

Bitte, danken Sie dem großen Baron für seinen Brief; sagen Sie ihm, er habe, wie gewöhnlich, unrecht. Er macht mir ungerechte Vorwürfe. Der Fürst Pignatelli hat eine genaue Abschrift der Musik zum »Sokrates« mitgenommen, und wenn man ihn in Paris spielen will, kann es mit größter Leichtigkeit geschehen. Leben Sie wohl!


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