Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[69] An Frau von Epinay

Neapel, den 25. Mai 1771

Heute, meine schöne Dame jährt sich wieder der Tag, an dem ich meine Abberufung von Paris empfing. Es war nicht mehr als gerecht, daß der schwärzeste Tag meines Lebens ausgeglichen wurde durch den, an welchem ich den zärtlichsten, liebsten, schönsten aller Ihrer Briefe empfing. Sie machen mir das Vergnügen, mir zu versichern, daß Sie nicht mehr nötig haben, nach Neapel zu reisen, aber daß Sie Lust haben, es zu tun. Das war das Liebste, was mein Herz von Ihnen zu erfahren wünschte.

Sie möchten wissen, ob ich nach Paris zurückkommen werde. Ich glaube es bestimmt; aber ich werde Sie nicht wiedersehen, denn ich werde blind sein. Spaß beiseite – mit meinen Augen geht es von Tag zu Tage schlechter; so daß ich darauf gefaßt bin, in einem Jahr den Star zu haben; das wird mich dann nötigen, nach Paris zurückzukehren, um mich operieren und ins Hospital der Quinze-Vingt aufnehmen zu lassen. Es ist ein schrecklicher Gedanke für mich, in solchem Zustand Paris wiederzusehen. Indessen, wenn ich blind bin, kann es mir nirgendwo anders glükken als in Paris; es ist der einzige Ort, wo man auf mich hören würde.

Um Sie als Prinzenerzieherin hierher berufen zu können, müßte man zunächst mal unsere Königin schwanger machen. Ich arbeite daran durch die Gebete, die ich zum Himmel sende, und durch meine aufrichtigsten Wünsche. Wäre unsere Königin die Frau eines Privatmannes, so würde ich noch wirksamer daran mitzuarbeiten trachten; denn sie hat eins der anziehendsten Gesichter, die ich je gesehen habe. Sie ist die schönste Frau in Neapel, und es ist sehr schade, daß sie Königin ist.

Linguet hat unrecht getan, so über die Ökonomisten herzuziehen. Ich bin überzeugt, die Ökonomisten sind in diesem Augenblick die erstauntesten und kleinlautesten Leute auf der Welt, indem sie sehen müssen, daß ihre Grundsätze und Theorien von Freiheit, Eigentum, gesetzlichem Despotismus, wesentlicher Ordnung usw. so geringe Fortschritte gemacht haben. Man hat Parlamente zerquetscht wie Flöhe und Wanzen, trotz der Physionomie rurale. Was sagen sie dazu? Was sagt er dazu, Panurg? Ich, der ich ganz andere Betrachtungen anstelle als die Ökonomisten, ich habe mich daran gemacht, über die physischen Ursachen der Freiheit der Regierungen nachzudenken, und ich werde darüber mein hundertsiebenundachtzigstes Buch schreiben. Der auffallende Gegensatz zwischen den Ereignissen, die aus so geringem Anlaß in Polen eingetreten sind, und dem, was trotz so vieler Ursachen in London und in Paris nicht eintritt, hat mir die Grundprinzipien der Freiheit aufgedeckt. Erster Grundsatz: Man darf keine Kutsche haben, sondern reise zu Pferde. Ein Wagen trifft auf eine aufrührerische Menge in der Straße, und der Parteiführer, von dem ich annehme, daß er sich in dem Wagen befindet, verliert zuviel Zeit, sich an die Spitze der Auf rührer zu setzen, weil er seinen Lakai Christoph rufen und ihm sagen muß: »Christoph, mach den Wagen auf! – Christoph, mach den Wagen zu!« – denn das alles nimmt viel Zeit weg. Zweiter Grundsatz: Man muß Strohschemel kaufen, keine Lehnstühle. Einer, der bei Frau Geoffrin in einen Lehnsessel gesunken ist, hat viele Mühe, wieder aufzustehen. Dritter Grundsatz: Man muß keine Wandspiegel haben; denn bei einem Aufruhr könnten Steinwürfe sie zerschmettern, und sie kosten viel Geld. Vierter Grundsatz: An den Landstraßen müssen sehr schlechte Wirtshäuser sein. Wenn man in ihnen elende Betten voller Wanzen findet, wacht man früher auf und reist infolgedessen schneller. Fünfter Grundsatz: Man darf seine Haare nicht pudern: nach einem tüchtigen Aufruhr ist jemand, der den Puder verloren hat, scheußlich anzusehen; er kann es nicht wagen, in guter Gesellschaft zu erscheinen oder einer Einladung zu einem Souper zu folgen.

Von diesen Grundsätzen hängt, glaube ich, die Aufrechterhaltung der Freiheit ab und hieraus ergibt sich die natürliche Ordnung der wechselseitigen Pflichten zwischen Herrscher und Volk. So hat Rousseau in seinem »Gesellschaftsvertrag «, der am Fuße des Turmes zu Babel vom seligen Notar Nimrod aufgesetzt wurde, unter den verschiedenen Klauseln eine sehr wichtige vergessen: daß nämlich die Gültigkeit des Vertrages sich nur bis zur Einrichtung des Sofas und Lehnstühle erstrecke, und daß die formelle Zustimmung der Perückenmacher erforderlich sei.

Wissen Sie, warum ich Ihnen so närrische Briefe schreibe? Weil Sie mir sagen, in Paris sei man nicht zum Scherzen aufgelegt...


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