Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[152] An Frau von Epinay

Neapel, den 27. Mai 1775

Nur durch Sie, Madame, habe ich Kunde von den Tumulten zu Paris erhalten, und da ich mit niemand mehr verkehre, der Briefe aus Frankreich empfängt, seit die Herren von Breteuil und Caraccioli abgereist sind, bleibt mir, zu meinem großen Bedauern, alles unbekannt, was Sie mir nicht mitteilen. Mein erster Gedanke beim Lesen Ihres Briefes war: Gott sei Dank, daß ich nicht in Paris bin. Man hätte mich als den Urheber des Tumults ins Gefängnis gesteckt. Man hätte mit Recht aus meinen Dialogen entnommen, daß ich ihn vorausgesagt und verkündigt hatte, als ich es aussprach, daß ein Staatsmann die unvorhergesehenen Fälle vorhersehen muß.

Diese unwürdige geheime Verschwörung, die ohne Zweifel die erste Triebfeder der Volksdummheit ist, hätte vorausgeahnt werden müssen. Pfaffen und Mönche haben im Jahre 1765 in Madrid die Erneuten angezettelt. Man bediente sich des Vorwandes der Teuerung, um sich für die Steuern zu rächen, die Herr von Squillace der Geistlichkeit auferlegt hatte. Alle, die nicht oft in die Messe gehen, müssen darauf gefaßt sein, daß man die Geringschätzung der Messe rächt. Das erste Problem, das ein Minister zu lösen hat, ist die Bewahrung seines Amtes; und je überzeugter er von seiner eigenen Ehrenhaftigkeit ist, desto eifriger muß er auf Bewahrung seiner Stelhmg aus sein, um den Menschen länger Gutes erweisen zu können. Wenn irgend etwas Gutes, das er tun möchte, ihn der Gefahr des Verlustes aussetzt, muß er es ohne weiteres seiner Existenz zum Opfer bringen.

Ich hoffe, daß dies Ereignis dem Herrn Turgot und dem Herrn Abbé Morellet die Kenntnis der Menschen und der Welt beigebracht hat, die nicht die der Schriften der Ökonomisten ist. Er wird eingesehen haben, daß die Revolten, die aus der Teuerung entspringen, nicht, wie er glaubte, unmöglich sind. Er zog alles in Berechnung und vergaß nur die Bösartigkeit der Menschen in Amt und Würden. Man kennt nie genau die Zahl seiner Feinde. Der selige Marschall d'Estrées wußte nicht, daß der Herzog von Cumberland mit dem Herrn von Maillebois unter einer Decke steckte, und Herr Turgot weiß vielleicht nicht, daß das ehemalige Parlament, der heutige große Rat, das Brot ebenfalls sehr teuer findet. Wenn sein Kummer und der des Herrn Abbé dazu dienen könnten, meinen Dialogen, oder zum mindesten meinen Absichten, die aus der Gesamtheit meiner Grundsätze hervorgehen, etwas mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, hätte ich viel bei diesem Tumult gewonnen, da keine Männer leben, deren Achtung und Freundschaft mir teurer wäre. Sie haben große Vorzüge und einen großen Geist. Vielleicht sind sie zu lang in ihrem Studierzimmer gesessen und nicht, wie ich, in frühester Jugend in die schöne Gesellschaft eines Hofes verschlagen worden, um da Fortunas Spielball zu sein...

Meine eine Nichte bleibt mir zu verkuppeln; denn ich habe mich (was Ihnen vielleicht nicht bekannt ist) auch meiner Schwägerin entledigt, der ich zu einer Wiederverheiratung behilflich war. Es ist wahr, daß ich mich frei mache; aber es geschieht immer nur durch Opfer und Verluste; und so werde ich von einer Last befreit, wie man sich seiner Kleider und Lumpen entledigt, um ganz nackt dazustehen.

Ihr lebt nur auf Hochzeiten und Festen. Ich verlasse Sie also, indem ich Sie bitte, mir weiterhin Pariser Neuigkeiten mitzuteilen. Caraccioli wird angekommen sein, sich aber in Reims aufhalten. Wenn er zurückkommt, umarmen Sie ihn für mich.

Seit einem Jahrhundert habe ich nichts von dem Baron von Holbach gehört.


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