Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[132] An Frau von Epinay

Neapel, den 25. September 1773

Sie haben ganz recht: der Wert, den man solchem Papierfetzen, Brief genannt, beimißt, ist unglaublich. Dieser Wahnsinn bringt dem König von Frankreich jährlich sechs Millionen ein. Aber wissen Sie auch warum? Der Grund ist der, daß der briefliche Verkehr nur das Überbleibsel eines reizenden Vermögens ist, das man wie ein Geizhals sorgfältig sich zu erhalten bemüht. Es mischt sich hinein die Reue, einstmals zu verschwenderisch gewesen zu sein.

Ihre Briefe sind für mich die Reste jener Unterhaltungen an Ihrem Kamin, mit abgenommener Perücke usw. Wie oft ärgere ich mich, Ihnen nicht mündlich gesagt zu haben, was ich Ihnen schreibe! Wollen Sie noch einen anderen Beweis? Bemerken Sie, daß es interessante Briefe nur zwischen Personen gibt, die sich vorher genau gekannt haben. Die Briefe der Gelehrten, die einander schreiben, weil sie sich dem Rufe nach kennen, werden ihren Geist zieren, aber nicht ihr Herz rühren.

Über Bücher will ich Sie auf eine eigentümliche Beobachtung hinweisen, die Sie vielleicht niemals gemacht haben. Die Bücher, die uns vor Vergnügen außer uns bringen, sind gerade jene, die uns nichts Neues lehren, aber dem Publikum gerade das sagen, was wir selber ihm hätten sagen mögen. Wenn der Verfasser es noch besser sagt, als wir selber es sagen zu können geglaubt hätten, so sind wir auf dem Höhepunkt der Freude und wissen vor Vergnügen nicht, wo wir hin sollen. Wenn das Buch uns etwas Neues lehrt, z. B. das Buch eines Reisenden, eines Geometers usw., so macht es uns Vergnügen, aber es entzückt uns nicht. Selbst in einem Roman wird die Partie, die uns in Entzücken versetzt, stets gerade jene sein, die uns durchaus nicht neu ist, z. B. der Charakter einer Persönlichkeit, der unserm eigenen oder dem eines vertrauten Freundes gleicht; eine Lage, in der wir selber uns schon befunden haben. Daraus folgt: wir sind von einem Buch entzückt, weil der Verfasser uns der Mühe enthoben hat, dieses Buch selber zu schreiben, und weil er es so gut gemacht hat, wie wir selber es machen zu können glaubten oder wenigstens gewünscht hätten, es machen zu können.

Dies ist das geheime Gefühl in Ihnen über das Werk des Herrn Necker; meines wird ebenso sein. Suchen Sie also dieses Buch juxta cor meum gelangen zu lassen, spätestens durch Vermittlung Caracciolis, wenn er, wie er sagt, hierher reist. Die Ökonomisten sprechen schlecht von dem Buche, sagen Sie? Sind sie denn überhaupt noch imstande zu sprechen? Ich glaubte, sie seien stumm geworden. Sehen sie nicht, daß ganz Europa dem Getreidehandel Schranken zieht? Sie haben also recht wenig Jünger gemacht.

Aber ich muß Ihnen, bevor der Bogen voll wird, erst noch meine übrigen Aufträge geben. Vor zwei Wochen (denn letzte Woche schrieb ich Ihnen nicht, da ich keine Briefe von Ihnen erhalten hatte), vor zwei Wochen bat ich Sie, mir den Stoff zu zwölf Kattunhemden zu schicken; aber vergessen Sie nicht, mir ein Dutzend fertiger hübscher Manschetten zu senden, oder besser schicken Sie mir gleich zwei Dutzend oder drei, denn in Neapel versteht man sie nicht zu machen. Sie kennen den Umfang meines furchtbaren Arms; wenn nicht, so nehmen Sie die Dimensionen des Farnesischen Herkules zum Muster. Ich kann Ihnen weiter nichts sagen, als daß ich seit meiner Abreise nicht größer geworden bin – ich sage »Abreise«, nicht Heimkehr, denn meine Heimat ist Paris. Zu diesem Auftrag noch einen zweiten: besorgen Sie mir, bitte, zwölf bunte, rotgestreifte englische oder Schweizer Taschentücher, um mir die Nase zu schnauben; und bedenken Sie, daß ich es Ihnen zu verdanken haben werde, wenn ich keine Rotznase bin. Das ist die höchste Verpflichtung, die ein Mensch haben kann. Ich kaufte sie in Paris zum Preise von 50 Sous bis zu 3 Livres 10 Sous. Man findet diese Tücher auch in Neapel, aber hier sind sie viel teurer. Wenn also der Marquis Caraccioli sie mir mitbringen will, wie ich hoffe, so werde ich beinahe die Hälfte ersparen.

Es tut mir sehr leid, daß Sie Ihren Prozeß verlieren und dadurch Ihre Finanzen zerrütten; aber wessen Finanzen sind nicht zerrüttet? Man braucht sich nur einen Freibrief auswirken lassen, wie Merlin der Zauberer; und das ist überall die leichteste Sache von der Welt. Ich sehe, daß alle Herrscher der Welt aus Sympathie die schlechten Zahler schützen. Sie werden also beschützt sein; und merken Sie sich wohl, daß der, der nichts zahlen will, nichts schuldig ist und keinen Mangel spürt. Da Sie sich also nicht rühren können, so bleiben Sie doch – das ist das sicherste. Leben Sie wohl.


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