Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[138] An Frau von Epinay

Neujahr 1774

Ihr Befinden, schöne Frau, begann mich sehr zu beunruhigen, da ich seit drei Wochen keine Briefe erhalten hatte. Endlich kamen zwei zugleich an, und ich habe daraus ersehen, daß es mit Ihrer Gesundheit gut steht. Die Posten sind schlecht. Die Übelstände, an denen Sie leiden, sind wirklich häuslicher Art: denn domus bedeutet Haus, wie Ihnen bekannt wäre, wenn Sie lateinisch verstünden. Sie sind außerdem chiragra (das ist griechisch und dennoch nicht sehr fein). Sie haben also eine böse Hand, und es ist die linke. Können Sie sich kratzen? Ich finde, daß uns die Hände nur zum Kratzen gegeben sind ... denn man hatte, wie bei den Affen, den Schwanz vergessen. Wenn Sie sich kratzen können, beruhigen Sie sich; das übrige wird sich von selber geben, trotz Helvétius, der, mit seinem düstern, verkümmerten Gemüt und seiner Langenweile auf dem Lande, sich an der Menschheit dafür rächte, daß es in Voré keine leichten Dämchen gab.

Sie geben mir den Inhalt seines Buches an; von welchem Buche sprechen Sie? Glauben Sie, mir sei bekannt, daß ein neues Werk unter seinem Namen erschienen ist? Ich weiß davon ganz und gar nichts, daher verstehe ich auch Ihre Abhandlung ganz und gar nicht. Sie sprechen darin vom Fall der Reiche. Was soll das heißen? Die Reiche sind weder oben noch unten und fallen nicht. Sie wechseln ihr Aussehen; aber man spricht von Sturz und Ruinen, und in diesen Worten liegt das ganze Spiel der Täuschung und der Irrtümer. Richtiger wäre es, von den Phasen der Reiche zu sprechen. Das Menschengeschlecht ist beständig wie der Mond; aber dieser wendet uns bald diese, bald jene Seite zu, weil wir nicht immer in der richtigen Lage sind, ihn in seiner Volle zu sehen. Es gibt Reiche, die nur im Verfall schön sind, wie Frankreich. Es gibt andere, die nur in ihrer Fäulnis etwas taugen, wie die Türkei; wieder andere glänzen nur in ihrem ersten Viertel, wie die Herrschaft der Jesuiten; das einzige, das in seiner Volle schön gewesen, ist der Kirchenstaat. Das ist alles, was ich weiß, und es ist nicht viel...

Seien Sie nicht erstaunt, wenn einige Wochen ohne Briefe von mir vergehen. Sie kennen die Ursache zum voraus: ich veranstalte eine Neuausgabe. Haben Sie mich lieb; lassen Sie sich's gut gehen, und wenn die Philosophen des Nordens heimgekehrt sind, umarmen Sie sie. Gehen Sie eigens zu dem Baron und der Baronin, um Ihnen von mir aus Glück zum neuen Jahr zu wünschen. Leben Sie wohl.


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