Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[171] An Frau von Epinay

Neapel, den 26. April 1777

Ich schäme mich, Madame, daß ich Ihnen nicht früher die neunzig Franken, die ich Ihnen schulde, erstatten konnte; aber Sie müssen wissen, daß der Herr Botschafter seit vierzehn Tagen so stark von einem unablässigen Fieber belästigt wird, daß er keinen einzigen Menschen empfangen hat. Endlich bin ich gestern abend bei ihm eingedrungen und habe ihn gesprochen. Er hat mit versprochen, er werde an seinen Bankier schreiben, er möge Ihnen diese Summe, die ich ihm erstatten werde, ausbezahlen. Er nannte mir den Namen nicht, und da er leidend war, wagte ich nicht, ihn zu drängen. Doch glaube ich nicht, daß er es vergißt, da ich ihm ein paar Zeilen hinterlassen habe.

Piccini hat seiner Gönnerin, der Prinzessin von Belmonte, geschrieben, was Sie alles meinetwegen für ihn getan haben, und ich habe eine Wagenladung Dankbezeigungen dafür bekommen. Ich bin Ihnen wirklich sehr verpflichtet.

Wegen Ihres Katechismus bin ich ebenso neugierig wie die Kaiserin. Der Gegenstand ist wundervoll, neu, ich wage zu sagen: originell. Aber gestatten Sie mir zu bemerken, daß ich dieses Unternehmen für äußerst schädlich halte. Es steht fest, daß die Katechismen die Dogmen aller Religionen, die sich deren Abfassung einfallen ließen, in die Unendlichkeit verwandelt haben. Zweifeln Sie nicht, daß von dem Augenblick an, wo es Moralkatechismen gibt, die Moral eine Verkrüppelung erleidet. Die Moral hat sich unter den Menschen erhalten, weil man wenig darüber sprach, und niemals in lehrhafter Weise, sondern stets in rhetorischer oder dichterischer Form. Von dem Augenblick an, da die Jesuiten es sich einfallen ließen, sie in ein System zu bringen, verunstalteten sie sie gräßlich. In der Tat, die Tugend ist Begeisterung. Wenn man etwas Mathematisches aus ihr macht, wird das Gute = x heißen, und das Böse = y, und die Gleichung wird lauten:

+x / -x =0
+y / -x =0

Das sind meine Befürchtungen; zerstreuen Sie sie. Sprechen Sie mir stets von Piccini, wenn Sie mir Neuigkeiten mitteilen wollen.

Übrigens: man schreibt mir aus Marseille, daß die Bücherkiste, die Sie dahin geschickt hatten, bereits eingeschifft sei. Lassen Sie sich's gut gehen. Haben Sie mich lieb. Leben Sie wohl.


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