Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[4] An Frau Necker

Genua, den 28. August 1769

Madame,

der Teufel hole die (zarten) Gefühle! Wenn ich welche habe, so möge Gott es mir verzeihen, sie sind wahrhaftig nicht das Beste, was ich habe! Ich habe ja, Gott sei Dank, nur wenig; aber Sie, Madame, Sie haben einen ganz verteufelten Haufen! Ihr reizender Brief vom 29. hat nur diesen einzigen Fehler. Sie sprechen mir wieder von Gefühlen. Warum erzählen Sie mir nichts von Pantoffeln? Was riskieren Sie dabei? Ich bin in Genua, und Sie sind in Paris. Wissen Sie, wenn Sie so fortfahren, so kann ich wohl tagsüber an Sie denken, doch nicht mehr nachts von Ihnen träumen.

Sie sehen, ich bin lustig. Aber glauben Sie mirs nicht! Ich bin traurig und unglücklich, und es tut mir weh, es Ihnen sagen zu müssen. Ich suche mich zu zerstreuen und gebe mich närrischer Lustigkeit hin. Ich amüsiere alle Welt, nur mich selbst nicht. Verfalle ich nur einen Augenblick lang darauf, an Paris und meine Freunde zu denken, so bin ich verloren! Ich bin nicht mehr dort; aber Sie sind dort, das sind die beiden Ausgangspunkte meines traurigen und trostlosen Grübelns. – Aber sie werden wieder hinkommen, wird man mir sagen. – Was weiß ich davon? – Also Sie werden fern von Paris sterben? – Das ist sicher und nicht sehr trostreich. – Aber Sie sind doch noch nicht tot? – Das ist allerdings auch sehr wahr. – Sie werden sich also daran gewöhnen? – Wie die Teufel ans Höllenfeuer. Das ist peinlich, aber es ist schließlich das einzige Gute an der Hölle und der einzige Trost der Verdammten.

Ich habe noch einen anderen Trost hier, das ist die Gesellschaft des berühmten Lomellino, eines wunderbar geistvollen Mannes. Nach zwanzig Jahren ist seine Trauer um Paris noch nicht vernarbt. Er spricht mit Entzücken von der Schönheit der Frau Marschallin de Luxembourg, von der naiven Anmut der Dumesnil, von der Lebhaftigkeit Montcrifs, von den witzigen Einfallen des Herrn de Maurepas, von den unbesonnenen Streichen des Herzogs von Nivernois. Seine übrigen Freunde sind gestorben. Diesen Kummer werde ich nicht zu tragen haben, denn ich werde vor den meinigen sterben. Aber, Himmel, was für einen Winselbrief schreibe ich Ihnen! Sprechen wir lieber wieder von unseren Pantoffeln ...

Erinnert sich Frau de Marchais noch meiner? Ist Fräulein Clairon zurückgekehrt? Es war ein Kummer weniger für mich, daß sie von Paris abwesend war, als ich wegreiste. Ich brauche Sie nicht zu fragen, ob sie sich meiner erinnert; sicher ist das der Fall. Fräulein von Lespinasse wird sich auch meiner erinnern, denn sie ist höflich, anständig, hat ein sehr gutes Gedächtnis, viel gelesen, viele Bekanntschaften, und ich bin für sie ein Buch, das sie einstmals ohne Langeweile las. Madame Geoffrin.....doch nein, von ihr will ich nicht sprechen. Ich würde noch nicht die Kraft dazu haben. Von Madame de la Ferté-Imbault dagegen können wir sprechen, sie liebt mich und ich sie, wie die Engel sich lieben, wie unser heiliger Thomas sagt, der nicht Euer Thomas ist, aber ein viel besserer Theologe war und entdeckt hatte, daß die Engel sich ebensogut in der Ferne wie in der Nähe lieben, ohne sich zu sehen, ohne sich zu sprechen. Sie sind sehr glücklich, wenn sie dabei Vergnügen empfinden.

Sie haben mir versprochen, mir häufig zu schreiben; werden Sie aber Wort halten? Schreiben Sie mir mit der Post direkt hierher, aber lassen Sie sich von jemand die Adresse schreiben. Ihre Briefe gleichen Sokrates: Die schönste Seele im häßlichsten Körper. Ihre Briefe sind so schön, wie die Aufschrift abscheulich ist. Das sage ich, um dem Abbé Morellet ein Vergnügen zu machen, und nicht, um Sie zu kränken. Es würde Ihnen nicht anstehen, die Briefumschläge sorgfältig zu schreiben; solche Alltäglichkeit, Niedrigkeit paßt nicht gut zum Erhabenen Ihrer unaussprechlich hohen geistigen Innerlichkeit. Jetzt geht mir das Papier aus. Vergessen Sie nicht meine Empfehlungen an Ihren besten Freund, Herrn Necker, auszurichten. Ich habe ihn außerordentlich lieb, und das sage ich nicht, um Ihnen den Hof zu machen. Ich finde mein reinstes Vergnügen daran.

Man wird mir vorwerfen, daß ich noch nicht an den unvergleichlichen Marmontel und all die anderen geschrieben; aber an sie zu denken macht mich unglücklich, und ich sollte doch nicht unglücklich sein. Ach, dieser Pantoffel! Glücklicher Schuhmacher!


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