Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[62] Frau von Epinay an Galiani

Paris, den u. April 1771

Wenn ich nicht hoffte, daß meine Briefe Ihnen wenig Portokosten machten, mein lieber Abbé, hätte ich nicht mehr den Mut, Ihnen zu schreiben; denn meine eigenhändige Briefschreibekraft geht nicht über zwanzig Zeilen hinaus, und meine Gehirnkraft erlaubt mir kaum mehr als eine oder zwei Seiten zu diktieren. Ich muß Ihnen jedoch all mein Unglück erzählen. Abbé Terray hat mich durch seine Maßnahmen ruiniert.

Ich habe weder Kredit noch Protektion, und hätte ich diese, so sollte mich Gott davor bewahren, jemals davon Gebrauch zu machen, um auch nur einen Taler zu verlangen. Ich schaffe meine Equipage ab, ich verkaufe das bißchen Silbergeschirr, das ich habe; das wird nicht lange reichen. Am meisten betrübt es mich, daß es nicht genügen wird, um die Schulden zu bezahlen, die meine schwache Gesundheit mich zu machen zwingt, während sie mich zugleich verhindert, an dem bißchen, was mir bleibt, Ersparnisse zu machen. Und dafür kann ich Ihnen bürgen: ich werde darum nicht trauriger sein und frohen Herzens ins Hospital gehen.

Nachdem ich Ihnen mitgeteilt habe, was mich persönlich angeht, diktiere ich jetzt den Rest meines Briefes. Wenn ich hier und da auf einen Abbé fluche, muß ich darum einen anderen um so mehr lieb haben; wenn ich eine Parallele zwischen den beiden ziehen wollte, so würde das wohl recht scherzhaft sein. Mein Mörder ist lang wie eine Bohnenstange, mein Tröster ist nur drei Käse hoch. Der eine ist dürr wie Reisig, hat tiefliegende Augen, eine spöttische, harte, absprechende Miene; der andere ist Speckfett, hat große, offene Augen, eine sanfte, schalkhafte, gute Miene. Der große Abbe denkt wie ein Räuberhauptmann, der kleine Abbe wie ein großer Mann; der große Abbe ist sittenstreng usw. Ich werde gelegentlich diesen Gedanken weiter verfolgen. Übrigens schreibe ich Ihnen nur darum so ungeniert, weil ein zuverlässiger Reisender Ihnen diesen Brief überbringen wird und mir für die richtige Bestellung garantiert. Ich will nun auf Ihre Fragen antworten und auch auf die, die Sie stellen würden, wenn Sie wüßten, was hier vorgeht.

Man erwartete die Aufhebung der Cour des Aides; man hat den Grund der Eile durchschaut, womit die Maßregel ausgeführt wurde, und kein Mensch glaubt, daß der gewollte Zweck damit erreicht werden kann. Man trauert darüber, wenn man dadurch jeder Justiz beraubt wird; man empört sich gegen den Gedanken, daß der Ministerrat unumschränkt gleichzeitig Richter und Partei ist. Die Bestürzung ist groß; aber wie ich sehe, ist man mehr zur Aufgabe jedes Widerstandes geneigt als zu Gewalt. Viele denken ernstlich an Auswanderung; wer durch seine Lage festgehalten ist, macht seinem Schmerz durch Deklamationen Luft, die zwar nichts nützen, aber doch das Herz erleichtern. Man ist erstaunt über die Verbannung einiger Mitglieder der Cour des Aides; man ist auf alles gefaßt; man hat Furcht. Aber die Meinungen bleiben die gleichen, weil man diese nicht beeinflußt.

Über die Art und Weise, wie der Herr Kanzler vorgeht, urteilt man allgemein mit solcher Verachtung, daß man sich kaum herbeiläßt, seine Veröffentlichungen zu lesen. Man ist zum voraus überzeugt, daß sie zweideutig und spitzfindig sein müssen. Von denen, die sie gelesen, finden einige sie ungeschickt abgefaßt, andre sie weder wahr noch falsch, schwierig zu widerlegen, aber doch widerlegbar. Noch andere sagen – und zu diesen gehöre ich –, daß um die eigentliche Frage stets herumgegangen wird.

Gewiß besteht dieser Streit um die Autorität oder vielmehr um die Macht zwischen König und Parlament, solange es überhaupt eine französische Monarchie gibt. Diese Unbestimmtheit gehört sogar zur monarchischen Verfassung; denn wenn die Frage zugunsten des Königs entschieden wird, so wird er durch alle sich daraus ergebenden Folgen einfach zum absoluten Despoten. Entscheidet man sie zugunsten des Parlaments, so hat der König eigentlich nicht mehr Autorität als der König von England. Ob man also die Frage auf die eine oder auf die andere Weise entscheidet, jedenfalls ändert man die Verfassung des Staates. Läßt man dagegen die Sachen so, wie sie von alters gewesen sind, so muß man doch wirklich fragen: wäre wirklich ein Fall denkbar, daß der König nicht freier Herr wäre, ein gutes Gesetz, eine gerechte Verordnung zu erlassen? Und wann ist es je dagewesen, daß trotz dem Widerstand des Parlaments der Wille des Königs nicht die Oberhand gehabt hat, bis der Herrscher von der Macht der Ereignisse und Verhältnisse bezwungen, aber ganz unabhängig von den Parlamenten, aus eigenem Antrieb von seinen Plänen Abstand genommen hat? Hätte man nur das Gute gewollt, so könnte man die Mißbräuche abstellen, ohne das ganze Gebäude niederzureißen; und wenn man das Baumaterial eines Hauses wieder verwenden will, so muß man es vorsichtig abbrechen, aber es nicht zerstören. Außerdem sind Menschen nicht zu behandeln wie Steine, die man mit Hebemaschinen bewegen kann.

Jeder Schritt macht das Übel schlimmer. Man schreibt – man wird antworten. Für den französischen Charakter ist alles Modesache; jeder wird seine Weisheit über Staatsverfassung anbringen wollen; die Köpfe werden sich erhitzen. Man wirft Thesen auf, an die man sonst niemals zu denken gewagt hätte. Und das ist nun ein nicht wieder gutzumachendes Unheil. Wie ich Ihnen sagte, mein lieber Abbé: diese Fragen sind die Theologie der Staatsverwaltung. Damit sie ohne Gefahr aufgeklärt werden können, muß man in seinen Nachforschungen so erfolgreich und glücklich sein, wie ein vernünftiger Mensch es nur verlangen kann. Sonst muß die Aufklärung, die den Völkern zuteil wird, ein bißchen früher, ein bißchen später Revolutionen herbeiführen.

Wenn man dann unsere innere und äußere Lage betrachten will, sowie den Charakter der verbündeten und nichtverbündeten Herrscher, so wird man, glaube ich, zugeben, daß kaum ein ungünstigerer Augenblick gewählt werden konnte. Ich könnte ohne Schwierigkeit ganze Bände über diesen Gegenstand schreiben; ich könnte nachweisen, daß ein dauerhaftes Ergebnis unmöglich ist und daß es alle möglichen Unzuträglichkeiten zur Folge haben würde, wenn ein solches möglich wäre. Alle diese Ideen waren in meinem Kopfe vorhanden; aber sie wären mir selber ewig unbekannt geblieben, wären sie nicht dadurch entwickelt worden, daß mein Geist aufgeschreckt wurde und meine Seele sich empörte. Man muß nicht glauben, daß bei dem jetzigen Stand der Aufklärung unserer Nation alles in Ordnung ist, wenn man sie durch Schreckensbeispiele von der Macht der Autorität in Furcht gesetzt hat. Zur Furcht tritt Unwille hinzu, und eine aufgeklärte Seele wird sehr beredt, wenn sie durch Mitleid, Schrecken, Mut und Entrüstung erhitzt ist. Die Lust am Märtyrertum wirkt ansteckend, und es ist ungeschickt, sie sich ausbreiten zu lassen.

Übrigens hofft jedermann, oder fast jedermann, die ganze Geschichte werde sich in nichts auflösen. Aber wenn es entschieden wäre, daß die Staatsverfassung geändert werden muß, so würde man nach meiner Wahrnehmung den Despotismus des Parlaments vorziehen, weil dieser an Formen gebunden ist, über die ein despotischer Herrscher sich hinwegsetzen kann. Aber es wird mir sehr schwer, zu glauben, daß der Nationalcharakter sich nicht ändern wird, wenn das noch längere Zeit so fortgeht.

Da haben Sie, lieber Abbé, meine Ideen, die ich Sie bitte, für sich allein zu behalten, wenigstens so lange, bis mein Gebieter ganz und gar bankerott ist; denn dann gedenke ich, mich in die Bastille sperren zu lassen, weil ich dann eben nur noch mein Leben fristen kann, wenn er die Kosten trägt.


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