Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[145] An Frau von Epinay

Neapel, den 4. Juni 1774

Ihr Brief, schöne Frau, kommt mir sehr gelegen, um meinen Hunger nach Neuigkeiten zu befriedigen. Nicht als ob ich nicht alles wüßte, was Sie mir schreiben; aber ich höre es gern von Ihnen, die gute Augen hat und keine Lust, mir es in schlechtem Licht zu zeigen.

Ich bin entzückt von allem, was man sich über den neuen König erzählt. Gestatten Sie mir aber dennoch über die blinde Begeisterung der Franzosen für ihn ärgerlich zu sein. Ich kenne euch, ich weiß, wie leicht ihr einer Sache wegen des Übermaßes der Wünsche und der gefaßten Hoffnungen überdrüssig werdet. Übrigens, je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird es mir, daß es die schwierigste Sache von der Welt ist, Frankreich in dem Zustand, in dem es sich gegenwärtig befindet, gut zu regieren. Ihr seid genau in dem Zustand, in welchem Titus Livius die Römer schildert, die weder ihr Übel, noch deren Heilmittel mehr ertragen konnten. Die Laster haben Wurzel gefaßt und sind mit den Sitten zusammengewachsen. Schafft ihr die Mädchen ab, dann wird der Luxus schwinden und mit ihm die Luxuskünste, und der Vorrang Frankreichs auf diesem Gebiet, das die Grundlage seines Handels, seines Reichtums, ja selbst seines Ansehens bildet, ist dahin. Es ist wahr, eure Laster sind ungeheuer; aber sie sind derart, daß ganz Europa sie haben und den Unterricht darin seinen Lehrmeistern teuer bezahlen möchte. Sind die Dämchen weg, dann geht es gegen die Philosophen. Sie gehören zusammen; sie sind ein anderer Luxus; aber sie verleihen eurer Nation den gegenwärtigen Glanz. Ihr werdet nichts mehr sein, wenn ihr nicht mehr die Lehrmeister der Laster seid. Dies sind die Verhältnisse in Europa und bei euch. Dies ist sehr sonderbar, aber es ist sehr wahr. Lassen Sie uns nichts prophezeien; dies ist das Sicherste und am wenigsten Traurige von allem, was man tun kann. Halten wir uns an die Tatsachen; teilen Sie mir sie ohne Kommentar mit; es kommt dem Schweigen gleich, wenn man die Tatsachen ganz einfach mitteilt.

... Sie hatten mir geschrieben, daß Magallon eine Ladung Baumwollzeug an den spanischen Konsul zu Marseille schicken werde; ich hatte ihm in diesem Sinn geschrieben. Der neapolitanische Konsul schreibt mir, daß man sie an ihn geschickt habe. Damit ist meine Vorsicht gestrandet, und da haben Sie die Wirkung der Quiproquos. All, welche Mühe kostet es, in dieser Welt Hemden zu beikommen, und wären sie noch so klein! Sie wollen nicht an meinen Stumpfsinn glauben? Nun gut, beurteilen Sie ihn nach diesem Brief. Wenn ich nicht stumpfsinnig bin, so werden Sie mir wenigstens zugeben, daß ich traurig bin; indessen habe ich keine Tapeziererrechnungen vor mir liegen. Ich habe dafür Nichten! Pfui! Die häßlichen Möbel! Man sitzt sehr schlecht darauf. Guten Tag, denn es ist nicht Nacht. Haben Sie mich lieb; bezahlen Sie den Tapezierer, wenn Sie können, und pfeifen Sie auf alles übrige. Leben Sie wohl.


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