Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[25] An Frau von Epinay

Neapel, den 30. Juni 1770

Sie schreiben mir, schöne Frau, im Gewittertoben einen Brief, ich antwortete Ihnen mit einem, den ich beim Scheine eines gestern abend von mir entdeckten schrecklichen Schweifkometen schreibe; daher wird mein Brief nicht heiterer sein als der Ihre.

Der Groß-Türke läßt alle Hexenmeister verbrennen; wenn er bei dieser Gelegenheit mich auch vom niederträchtigen Merlin befreien würde, o wie froh würde mich das machen!

Ich erhielt die fröhlichste und freundschaftlichste Antwort von unserem unvergleichlichen Herrn von Sartine. Ich will ihm weiter schreiben, eben mit Zwischenpausen, wie es sich gehört im Verkehr mit einem von Geschäften überhäuften Beamten. Aber wie wär's, wenn Sie ihn inzwischen aufsuchten? wenn Sie ihm von meinem schrecklichen Abenteuer mit Merlin sprächen? wenn Sie.... Was weiß ich denn? Kurz und gut, ich verehre Herrn von Sartine außerordentlich; ich habe tausend Verpflichtungen gegen ihn und möchte noch mehr gegen ihn haben. Nur auf ihn kommt es an, und ich kehre nach Paris zurück. Er braucht mich nur zum Polizeiinspektor zu machen und mir die Abteilung der Dämchen zu übertragen – und ich fliege, ich renne, ich lasse alles im Stich. Aber ich hatte Ihnen ja einen traurigen, apokalyptischen, kometenhaften Brief versprochen, und nun wird es ein lustiger! Kehren wir zurück zur Traurigkeit!

An Suard habe ich einen schönen Brief geschrieben; ich hoffe, er wird ihn Ihnen mitteilen. Meine Rückkehr nach Paris ist nicht recht sicher, und ich habe mit niemand davon gesprochen. Im Geiste reise ich jeden Augenblick dorthin, aber mein Leib ist in Neapel. Ich könnte vier oder sechs Zähne, die mir ausgefallen sind, nach Paris schicken; man könnte sie säen und es würden Männer daraus entstehen.

Wer war denn die Person, die Sie zwang, gegen Suard so fürchterlich über meine falschen Pariser Freunde loszuziehen? Bitte nennen Sie mir ihren Namen, um mir manchen vielleicht ungerechten Verdacht zu nehmen. Über Panurgs Arbeit muß ich mich natürlich ärgern. Ich werde immer in Verzweiflung sein, wenn ich sehe, daß er mich nicht im geringsten verstanden hat, während Fréron das ganze, die Anordnung, die Ideenverknüpfung meiner Dialoge sehr gut aufgefaßt hat. Übrigens wird das Edikt von 64 widerrufen sein, ehe das Jahr 70 vergangen ist, und so werde ich die Schlacht gewonnen haben.

Von dem chinesischen Gedicht habe ich bis jetzt immer nur den Auszug, den Sie mir schickten. Ich erwarte es mit Ungeduld.

Sie schreiben mir immer sehr kurze Briefe und versprechen mir immer sehr lange; das ist nicht schön.

Da Sie bisweilen meine Briefe wieder lesen, so antworten Sie mir doch auf gewisse Fragen, die ich von Zeit zu Zeit stelle.

Ich habe das Système de la Nature durchgeblättert. Es scheint mir von derselben Hand, die den Christianisme dévoilé und den Militaire philosophe gemacht hat. Es ist zu lang. Es scheint nicht mit kaltem Blut geschrieben zu sein, und das ist ein großer Fehler, denn man könnte glauben, daß der Autor nicht so sehr andere als vielmehr sich selbst zu überzeugen nötig hat. Im Grunde kennen wir die Natur nicht gut genug, um ein System aufzustellen. Das Beste wäre, aus einer Reihenfolge von Vergleichungen der verschiedenen Zeiten und Länder die endgültige Gleichungsformel für den Menschen zu bestimmen; und es ist recht merkwürdig zu sehen, daß man die Theologie des Menschen so gut wie seine Küche auf eine Einheit zurückführen kann. Man kann zum Beispiel sagen, daß unsere ganze Kochkunst darauf zurückgeht, daß wir Rohes und Gekochtes essen. Fleisch, Fische, usw. kocht man; Früchte usw. ißt man roh; das Einsalzen, das Räuchern usw. sind Arten des Kochens: ebenso führt man in der Theologie alles darauf zurück, daß man an gute oder böse Gottheiten glaubt, daß die Heiligen sich in Götter verwandeln, sobald man aus dem All einen obersten Gott macht etc. Kurz, wenn ich ein Buch darüber schriebe, so würde das etwas wirklich Originelles sein etc.

Leben Sie wohl, schöne Frau. Schreiben Sie mir ausführlich und veranlassen Sie alle meine Freunde, mir ebenso ausführlich zu schreiben wie Panurg. Das will viel sagen. Nochmals Lebewohl. Meine armen hundert Louis!


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