Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[18] An Frau von Epinay

Neapel, den 5. Mai 1770

Während ich die Antwort auf Nr. 3 fertig machte, kommt Nr. 4 an, die ich auch hiermit beantworte. Ihr Brief ist reizend, weil er lang ist; aber er ist wenig angenehm wegen der Neuigkeiten, die Sie mir über die Gesundheit unsres einzigen Marquis und der Frau Geoffrin mitteilen. Diese letzteren machen mich besonders traurig. Ich zittre für sie. Mein Herz sagte mir bei meiner Abreise von Paris voraus, daß ich den Schmerz haben würde, sie nicht wiederzusehen. Ich ging ihr aus dem Wege und das ist der einzige wahre Grund, weshalb ich ihr nicht geschrieben habe. Ich sage Ihnen nichts mehr davon, mein Herz krampft sich bei diesem Gedanken zusammen. Versuchen wir, uns heiter zu stimmen!

Ja, sicherlich sind Briefe von mir verlorengegangen; unter andern bat ich Sie in einem, Suard zu sagen, daß ich ihm die Neapolitanische Zeitung nicht geschickt habe (obgleich mir nichts leichter wäre, weil ich alle Woche eine verbrenne); aber sie ist nichts wert. Er müßte sich darin auf mich verlassen. Die Nachrichten von hier, wie die aus Rußland, finden sich alle in der Florenzer Zeitung, die sehr interessant ist, und die wir hier lesen müssen, um zu sehen, was bei uns los ist. Übrigens empfange ich die französischen Zeitungen, die Suard mir schickt, sehr unregelmäßig, und jetzt ist es, wie ich glaube, vier Wochen schon, daß sie mir fehlen. Ich möchte ihn bitten, sie an den Abbé de Vauxcelles zu adressieren; so erwiese er zwei Freunden einen Dienst.

Für die Voltaire-Statue würde ich nur einen Beitrag zeichnen, wenn mir ebenfalls eine errichtet würde. Die meinige müßte man in dem schönen neuen Hallenrundbau, im Hotel Soissons aufstellen. Ich würde mich prächtig zwischen Mehlen und Pariser Mädchen ausnehmen. Ich hätte alles, was zur Ernährung und Bevölkerung nötig ist, und mehr würden auch unsere neuen Philosophen nicht verlangen. Ich wünsche ein Kolossalstandbild, damit die Nachwelt nicht wisse, wie klein mein Wuchs war. Der Schutzgenius Frankreichs soll mich mit einem Ährenkranze krönen. An meinem Piedestal will ich vier gefesselte Affen haben, nämlich Dupont, La Rivière, Badot und Ribaud: zwei Abbés, zwei Weltliche, das wird ein hübscher Gegensatz und wundervoll malerisch sein. Auf der Vorderseite der Statue stehe die Inschrift:

Ferdinando Triticano (wie Scipio der Afrikaner)
ob cives servatos. Aere conlato, in einer Ährenkrone.
An den Seiten:
An der ersten: Taedio Ephemeridum profligato.
An der zweiten: Logomachia rurali divicta.
An der dritten: Oeconomistis deletis qui Rempublicam obdormiebant.

Dann drei Medaillons unter diesen Inschriften. Im ersten wird man einen Ökonomisten sehen, der niedergebeugt den großen Gott der Gärten anbetet, und der, indem er sich niederbeugt, seine Hinterpartie zeigt. Der gereizte Gott schlägt ihn mit seinem ehrwürdigen Instrument auf den Kopf; auf dem freien Raum steht die Inschrift: Priapo vindici. Auf der entgegengesetzten Seite sieht man eine ökonomische Dame (denn es gibt solche), die der Pomona Früchte und Blumen als Opfer darbringt und dabei vorn ihr Kleid zu hoch aufhebt. Die gereizte Göttin wirft ihr Äpfel an den Kopf. Umschrift: Pomonae ultrici. Endlich, auf der Hinterseite, das dritte Medaillon: Zwei Abbés, Panurg und Badot, die auf einem ländlichen Altar ihre Werke und Schriften Harpokrates, dem Gott des Schweigens, des Schlummers und der Vergessenheit, weihen; der Gott bedeckt aus Dankbarkeit sie und ihre Schriften mit Mohn; Umschrift: Nocti aeternae. Ich weiß nicht, was für Teufelszeug ich schreibe, aber da haben Sie nun ein völlig improvisiertes und über Hals und Kopf niedergeschriebenes Gedicht. Grimm und der Baron sollen darüber lachen! Ich erwarte das heilige, in der Kassette eingeschlossene Depositum und danke der Gesellschaft im voraus, die zusammengelegt hat, um mir's zu schicken; aher wenn Sie meinen Brief empfangen haben, in dem ich Ihnen von meinem hundertvierundachtzigsten und letzten Werk Rechenschaft ablegte, so haben Sie genügend Gegenwert, um der Gesellschaft diese Wohltat bezahlen zu können. Tausend Dank für Voltaires Verse! Ich habe im Auszug des Mercure alles gesehen, was die schmutzigste Bosheit an Treulosigkeiten und Beleidigungen hervorspeien konnte. Desto besser. Diese Leute kennen die Menschen nicht. Ein instinktives Gefühl treibt den Menschen, sich gegen Verfolgung, Bedrückung und Hinterlist zu empören. Man sieht ein unglückliches, nachgeborenes, von seinem Erzeuger verlassenes Werk, das der Gnade des Schicksals preisgegeben ist, und eine Bande von Philosophen (so will ich sie mit Vorbehalt nennen), die sich zusammengerottet haben, um es unter endlosem Geschrei zu zertrampeln. Das Mitleid muß wach werden. Sie werden bald Leute sehen, die herbeieilen, um dem Bedrängten beizustehen. Inzwischen ist das Losungswort ausgegeben; zwischen den Philosophes Civils und den Philosophes Ruraux oder Rustiques ist der Krieg erklärt; es erscheint mir unmöglich, daß die Seite, auf der ein Voltaire, ein Diderot, ein d'Alembert kämpfen, geschlagen werden könnte. Ich werde die Helena dieses trojanischen Krieges sein.

Ich bin durchaus nicht darüber erstaunt, daß das Publikum jetzt sagt, Herr Necker und Panurg seien im Einverständnis. Zwei Personen, die durchaus nicht miteinander einverstanden sind, geben dasselbe Resultat wie zwei, die einverstanden sind, wie zwei Verneinungen eine Bejahung ausmachen, und zwei – -Zeichen, in der Algebra minus genannt, eine positive Anzahl ergeben. Tatsache ist, daß der Abbé Morellet, der die Partei der Autorität und Despotie unterstützt hat, recht hatte, und daß Herr Necker, der sich zugunsten der Freiheit erklärte, unrecht hatte. Sie werden glauben, ich träume oder täusche mich; keineswegs. Ich wiederhole es: Morellet war gegen die Freiheit; ich bin imstande, das zu beweisen. Ich weiß nicht, ob er im Geheimen seines Herzens das selber wußte. Es ist ihm vielleicht ergangen wie dem Propheten Balaam, der fluchen wollte und segnen mußte; aber es ist Tatsache. Diesmal ist der Abbé Macchiavellino gewesen und hat den Prozeß gewonnen.

Aber genug von diesen Zärtlichkeiten. Sie machen mir das Herz bluten, wenn Sie mir schildern, wie Sie mich vermissen. Sie machen mich weinen, und ich würde Sie in Tränen zerfließen lassen, wenn ich Ihnen sagte, was jedesmal in meinem Herzen vorgeht, wenn ich Ihre Briefe empfange und anfange, Ihnen darauf zu antworten. Wahrhaftig, wäre ich sicher, in Paris jährlich 6000 Lire zu haben, ließ ich all mein Gegenwärtiges, das nicht klein ist, und meine ganze Zukunft, die groß sein kann, im Stich und würde nach dem kleinen Briche fliegen, das ich Sie wiederzunehmen zwingen würde. Aber sehen wir noch ein Jahr zu; wer weiß, was alles kommen wird...


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