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Paris, den 20. Januar 1771
Wenn Sie nicht mit einem Donnerwetter dazwischen fahren, mein lieber Abbé, so weiß ich nicht, was bei uns noch passieren wird. Wir kratzen uns wegen des Interet general de l'Etat die Augen aus. Der eine sagt: »Dies Kapitel muß abgedruckt werden.« – »Aber nein doch!« sagt der andere: »jenes!« – »Aber, meine Herren, es muß das da sein, das ist doch klar; lesen Sie nur, es stimmt Wort für Wort.« – »Nun, so drucken Sie doch das ganze Buch ab!« – »Warum auch nicht?« – »Und die Kosten?« – »Man muß eine Auswahl treffen; muß nur das schreiben, was notwendig ist.« – »Ganz wie Sie wollen; aber Sie werden sich unnütze Arbeit machen.« – »Nun, meine Herren Philosophen, disputiert, untersucht, entscheidet – das ist euer Beruf. Ich aber weiß ein sicheres Mittel, das Rechte zu treffen: der Abbe muß uns schreiben, welche Kapitel oder was für Stellen daraus er halbspaltig, seinem Text gegenüberstehend, abgedruckt haben will. Meine Aufgabe ist, das, was ich zu tun habe, richtig zu machen, und ich sehe kein anderes Mittel, als seine Anordnungen einzuholen.« Geben Sie sie mir also recht schnell, mein lieber Abbé, war's auch nur, um die Doktoren zum Schweigen zu bringen. Die schwatzen von der Philosophie, die ich praktisch ausübe, und deshalb glauben sie sich berechtigt, tausendmal lauter zu schreien als ich. Hätten sie solche Lendenschmerzen und Koliken wie ich in diesem Augenblick, wo ich Ihnen schreibe – ich würde ihnen ihr lautes Geschrei verpechen; aber sie sind heldenmütig gegen Schmerzen nur, wenn sie gesund und munter sind. Ich finde sie komisch und lache über sie sogar, wenn ich leide; ich fühle, daß so etwas nicht verziehen wird, und die notwendige Folge ist, daß ich das ganze Jahr unrecht haben werde.
Hahaha! Sie sagen also, ich habe Ihnen einen reizenden Brief geschrieben. Das kann wohl sein. In der Tat, ich mutmaße wohl, daß der, von dem Sie sprechen, gut war. Trotzdem hoffe ich, Sie behalten Ihre Betrachtungen für sich allein und machen es nicht wie unser Intendant der Auvergne, der den täppischen Einfall hatte, einen meiner reizenden Briefe in Riom einer ganzen Gesellschaft vorzulesen. Na, hab ich nun nicht in der Auvergne auf meinen Ruf als Briefschreiberin Rücksicht zu nehmen? Ich werde ihm nicht mehr schreiben können, ohne fortwährend daran zu denken, was ich sage. Das kann ich nicht leiden; mit meinen Freunden plaudere ich gerne in aller Sicherheit; ich will keine Rolle zu spielen haben. Ist das Stolz? Ist es Bescheidenheit? Das weiß ich nicht. Vielleicht ist es beides; ich bin sehr unwissend, das ist Tatsache. Meine ganze Erziehung galt der Erwerbung angenehmer Talente, und deren Ausübung habe ich verlernt.
Ich habe nur noch einige leichte Kenntnisse von diesen Künsten und gesunden Menschenverstand – in unseren Tagen etwas Seltenes, das gebe ich zu, aber doch nicht danach angetan, um großen Staat damit zu machen. Wenn eine Frau im Ruf steht, ein Schöngeist zu sein, so scheint mir das immer nur Spott von seifen der Männer zu sein, die sich dafür rächen möchten, daß die Frauen im allgemeinen zierlicheren Geistes sind als sie; und ich glaube das um so eher, als man mit diesem Beiwort fast immer den Begriff einer gelehrten Frau verbindet; die gelehrteste Frau aber hat nur sehr oberflächliche Kenntnisse und kann keine anderen haben. Ich habe Lust, mal recht pedantisch hierüber zu diskutieren. Nachher lachen wir, war's auch nur über meine Worte. Wo war ich doch stehen geblieben? – Richtig, bei den oberflächlichen Kenntnissen. Ich behaupte also, eine Frau – eben weil sie Frau ist – ist nicht imstande, so ausgebreitete Kenntnisse zu erwerben, um sich ihresgleichen nützlich machen zu können, und mir scheint, nur auf solche Kenntnisse darf man vernünftigerweise sich etwas einbilden. Um von seinen Kenntnissen einen nützlichen Gebrauch machen zu können – welcher Art es auch sei – muß man Praxis und Theorie vereinigen, sonst hat man nur sehr unvollkommene Begriffe.
Wie viele Dinge gibt es nicht, mit denen sie sich nicht befassen dürfen! Alles was mit der Wissenschaft, der Staatsverwaltung, der Politik, dem Handel zusammenhängt, ist ihnen fremd und ist ihnen untersagt; sie können und dürfen sich nicht hineinmischen, und jene Wissenschaften sind fast die einzigen großen Gebiete, auf denen gebildete oder gelehrte Männer ihren Mitmenschen, dem Staat, ihrem Vaterlande wahrhaft nützlich sein können. Es bleiben also den Frauen die schöne Literatur, die Philosophie, die Künste.
In der schönen Literatur verbieten ihnen ihre Beschäftigungen, ihre Pflichten, ihre Schwachheit ein tiefes und andauerndes Studium der alten Sprachen, etwa des Griechischen und Lateinischen. Ihnen wird also die französische, englische, italienische Literatur zufallen.
In der Philosophie wird ihre Auffassung unzulänglich sein, da sie die Alten nicht lesen können oder sie nur aus Übersetzungen kennen, die fast immer schwach oder ungetreu sind. Und wenn sie räsonieren und spekulieren wollen, werden sie auf Schritt und Tritt sich durch ihre Unwissenheit gehemmt sehen. Ich spreche hier nicht von Metaphysik und Geometrie. Die Wissenschaft der Metaphysik gehört aller Welt, läßt sich auf alles anwenden und hat fast gar keinen Wert. Dasselbe möchte ich beinahe von der Geometrie sagen.
Nun wollen wir einmal sehen, ob sich die Frauen des Reiches der Künste bemächtigen und bis zu welchem Grade sie sich diesen widmen können.
Die mechanischen Künste können nicht in ihr Bereich fallen. Auch auf die Künste, die das Leben verschönern, müssen sie zum Teil verzichten: auf die Bildhauerei, sogar auf die Malerei. Die Unmöglichkeit zu reisen und die Meisterwerke fremder Schulen zu betrachten, der Anstand, der ihnen verbietet, bei der Natur in die Schule zu gehen, unsere ganzen Sitten – alles stellt sich ihrem Fortschritt entgegen. Von Baukunst zu sprechen ist, glaube ich, überflüssig. So sind sie also beschränkt auf Musik, Tanz und unschuldige Reimerei: ein kümmerlicher Behelf; und selbst dieses nur für eine beschränkte Zeit.
Ziehen wir also aus allem diesem den Schluß, daß eine Frau sehr unrecht hat und sich nur lächerlich macht, wenn sie sich für eine Gelehrte oder einen Schöngeist ausgibt und wenn sie glaubt, sich solchen Rufes würdig zeigen zu können. Trotzdem hat sie aber sehr recht, wenn sie sich so viele Kenntnisse erwirbt, wie's ihr nur möglich ist. Sobald sie ihre Pflichten als Mutter, Tochter, Gattin erfüllt hat, tut sie sehr wohl daran, sich dem Studium und der Arbeit zu widmen; denn dies ist ein sicheres Mittel, sich selber genug zu tun, frei und unabhängig zu sein, sich über die Ungerechtigkeiten des Schicksals und der Menschen zu trösten; und niemals wird man von diesen mehr geliebt und geachtet, als wenn man sie nicht nötig hat. Wie dem auch sei, wenn eine Frau von Geist und Charakter die Sachen, auf deren gründliches Studium sie verzichten muß, nur oberflächlich inne hätte, so wäre sie doch etwas sehr Seltenes, etwas sehr Liebenswürdiges, etwas Hochgeachtetes – vorausgesetzt, daß sie keinen Anspruch erhöbe, dies zu sein. Guten Tag, mein lieber Abbe. Fortsetzung mit nächster Post.