Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[104] An Frau von Epinay

Neapel, den 19. September 1772

Schöne Frau,

niemals habe ich einen Brief von Ihnen mit solcher Ungeduld erwartet wie den soeben empfangenen vom 22. August. Sie hatten mein Herz und meine Gedanken in schwarze Sorgen gehüllt, wegen des Gesundheitszustandes unseres Freundes. Wie ich sehe, sind Verletzungen der inneren Teile zurückgeblieben. Geschwüre können an diesen nicht vorhanden sein, denn solche würde man bemerken: es wäre Eiterung eingetreten. Die Heilung der Wunden wird sehr lange Zeit erfordern, gerade weil keine Eiterung da ist. Es scheint mir Wahnsinn zu sein, daß er eine Reise unternehmen will; denn die Wagenfahrt wird ihm Schmerzen verursachen. Indessen möchte ich ihn doch auch gerne wiedersehen; also richten Sie sich ein!

Danken Sie dem Philosophen für die mir freundlichst gesandte Beschreibung des Grabdenkmals. Es ist prachtvoll, abgesehen von einer Einzelheit, auf die ich Sie bitte, ihn aufmerksam zu machen. Die Alten haben uns in allem übertroffen; das ist eine Tatsache. Niemals haben sie den Tod gemalt oder plastisch gebildet: er ist eine häßliche, ekelhafte, abstoßende Gestalt, und wir haben von ihm weiter nichts, als daß er uns das Leben vergiftet.

Die Darstellungen auf den Gräbern der Alten sind stets heiter und anständig; ihre Hölle ist der Aufenthalt ehrenwerter und geschmackvoller Menschen. Um die Seelen zum Orkus zu führen, gebrauchen sie stets Merkur, einen jungen Mann mit sehr angenehmen Gesichtszügen. Der Schlangenstab, das Sinnbild des Friedens und der Ewigkeit, ist ihm nur in seiner Eigenschaft als Seelenführer zugeteilt. Hierin stimmen alle Denkmäler des Altertums überein.

So würde ich denn statt des Todes oder einer symbolhaften Gestalt auf dem Gothaischen Denkmal Merkur anbringen: die Attribute des Gottes sind so leicht erkennbar, daß jedermann die Bedeutung der Figur sofort errät: der Flügelhut, die Flügel an den Füßen, der Schlangenstab. Man vermeidet auf diese Weise eine häßliche Gestalt oder eine schwer zu erkennende symbolische Figur, für die sich kein Beispiel und keine Autorität anführen ließe. Aber der Vorteil bestände darin, daß in zwangloser Weise die Gruppe dann vier Figuren enthielte, zwei männliche und zwei weibliche, und das wäre ausgezeichnet. Diese vier Figuren wären: Merkur als Jüngling, der Herzog als Greis, die Herzogin als bejahrte Frau, das Land als junges Weib. So wären also die vier Lebensalter vertreten, und das wäre noch ausgezeichneter. Sollten nun etwa Ignoranten nicht wissen, daß Merkur der Führer der Schatten ist, so wird es ihnen doch genügen, wenn sie sehen, daß er der Gott des Friedens ist, der die beiden tugendhaften Seelen zum Grabe und so zum ewigen Frieden führt. Dies würde den letzten Schimmer von Heidentum beseitigen, das scheinbar dem Denkmal anhaften könnte.

Der Philosoph hat mich zu lieb, um es mir übel zu nehmen, daß ich ihm einen Rat gebe; im Gegenteil, er wird mir dafür danken ...


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