Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[137] An Frau von Epinay

Neapel, den 18. Dezember 1773

Ich habe Sie seit einiger Zeit sehr vernachlässigt, schöne Frau, und ich fürchte, daß Sie deswegen mehr als nötig in Unruhe sind, denn es geht mir gut.

Meinem Bruder geht es viel besser, und er wird noch einige Zeit am Leben bleiben. Der Gedanke, daß ein Unglück ferner steht, ist fast so viel wert, als der an ein Unheil, das für immer abgewendet ist. Alles in unserm Kopfe ist dem Zwang des Augenscheins unterworfen; wir sind nicht für die Wahrheit geschaffen, und die Wahrheit geht uns nichts an. Die optische Täuschung allein soll man erstreben.

Wenn ich Ihnen also die wirkliche Ursache meines Schweigens angeben sollte, würde es mir schwer fallen, sie zu finden. Dennoch halte ich sie für die folgende: zunächst haben mich Ihre Briefe nicht elektrisiert. Die Perücke des Herrn von Argental und die Heirat der Herzogin von Chaulnes sind zwei Arten Felle, die im Gegensatz zu anderen Fellen keine Elektrizität hervorbringen und keine abgeben.

Ferner bin ich durch den Neudruck meines alten Werkes über das Geld, das in italienischer Sprache geschrieben und gänzlich vergriffen ist, ganz in Anspruch genommen. Ich gedachte, einige Zusätze hinzuzufügen; aber je älter ich werde, desto mehr sehe ich ein, daß in den Büchern stets Striche, aber keine Zusätze angezeigt sind. Das aber stimmt nicht mit den Forderungen der Verleger. Sie wünschen vollständigere Ausgaben, und die Dummköpfe (denn nur die Dummköpfe kaufen viele Bücher) wünschen es ebenfalls. Ich muß also eine vollständigere Ausgabe meines Werkes veranstalten. Man wünscht Noten; ich werde sie liefern. Aber was soll ich hineinsetzen? Könnten Sie mir helfen oder mir helfen lassen, damit ich das finde, was hinzugefügt werden soll, damit ein Werk gefalle, das Sie vielleicht kennen; denn ich habe einige Exemplare in Paris verstreut. Sie werden mir antworten, daß Sie nicht viel vom Italienischen verstehen und noch weniger von dem Gelde meines Vaterlandes; aber was liegt daran? Fabriziert man nicht auch Noten, ohne den Text zu verstehen? Haben Horaz, Aristoteles u. a. nicht eine unendliche Anzahl von Erklärern gefunden? Helfen Sie mir also; denn ich zerbreche mir den Kopf mit Kommentieren, und ich finde immer nur, daß ich im Texte das gesagt habe, was ich in meinen Anmerkungen sagen möchte.

Dies veranlaßt mich, Ihnen zu melden, daß ein gewisser Präsident, dessen Namen ich vergessen habe, den Sie aber an diesem Zeichen erkennen werden: (seine Frau galt als geistvolle Frau, denn sie hatte den guten Geschmack, Herrn Trudaine den Alten, einen sehr gewichtigen Mann, zu fesseln), daß dieser Präsident Forschungen über den Wert des Geldes in seinem Verhältnis zu den Lebensmitteln in den verschiedenen Jahrhunderten veröffentlicht hat. Dies Werk ist selten, und ich möchte es haben. Versuchen Sie, es zu bekommen, und schicken Sie es mir mit den Hemden. Das also ist für den Augenblick meine Beschäftigung, die mich zerstreut, ohne mir Spaß zu machen. Sie wird mich ziemlich in Anspruch nehmen, denn ich muß alle Korrekturen lesen; niemand hilft mir hier bei meinen Studien. Dies ist ein großes Unglück für diejenigen, die gerne möchten, daß ich alle Tage ein neues Geisteskind zur Welt bringe. Wenn ich nur Geburtshelfer hätte!...


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