Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[108] An Frau von Epinay

Neapel, den 7. November 1772

Herr Sersale ist angekommen. Er hat mir von Ihnen das Helvétius'sche »Glück« überbracht; die Prosa wiegt bei weitem die Verse auf. Sagen Sie mir, ob d'Alembert diese Vorrede geschrieben hat, oder Abbé Morellet, oder wer sonst von seinen Freunden.

Gleichzeitig übergab er mir einen Brief von Ihnen, und ich fand mit Vergnügen, daß es die schmerzlich vermißte Nummer 8 war... Sie hat mich zu Tränen gerührt. Sie eröffnen mir Ihr Herz, und ich sehe es in den Flammen eines Elixiers von Gefühlen, Tugenden und Heroismus brennen. Aber warum wollen Sie den Heroismus so weit treiben, daß er Sie leiden macht? Wenn die Tugend uns nicht glücklich macht – ei, zum Kuckuck, welchen Zweck hat sie denn? Ich rate Ihnen also, nur gerade so viel Tugend zu haben, und nicht mehr, wie Sie brauchen, um Ihnen Behaglichkeit und Bequemlichkeit zu beschaffen. Sollte etwas herannahen, was Ihnen einen tödlichen Kummer verursachen würde, so schließen Sie sich dagegen ab, halten Sie es mit allen Kräften von sich fern, und quälen Sie sich nicht mit dem Gedanken, daß Sie es hätten tun können, aber nicht getan haben. Und keinen Heroismus, bitte! Denn der tötet mich und langweilt mich zum Sterben. Seitdem der Ruhm nicht mehr das höchste Glück ist, hat Heroismus keinen Zweck mehr; denn man spricht nicht mehr davon. Aber was für ein dummes Glück ist das auch, wenn Dummköpfe (das heißt: die Menschen) unter hundert Dummheiten, tausend Lügen, hunderttausend Schwätzereien zuweilen mal sagen: Ah, die Selige opferte ihr Leben um eines heroischen Gefühls willen.

Ein Hurra dem Dummkopf und der Seligen! Fassen Sie also den festen Entschluß, diesen nagenden Wurm zu töten, den ich jetzt erst begreife und den ich in Ihren vorhergehenden Briefen nicht entdeckt hatte, weil ich an solchen Anachronismus nicht dachte. Mich dünkt: wenn Sie wollen, können Sie es – Sie brauchen nur zu sprechen. Wenn Sie daran ersticken, so ist es Ihre Schuld. Übrigens, scheint mir, haben Sie nicht so viele Gefahren zu befürchten, wie Ihre erhitzte Phantasie Ihnen vorspiegelt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein verständiger Mann alle Vorteile stets nur auf Heller und Pfennig nach dem Geldwert berechnet. Die Annehmlichkeiten des Lebens lassen sich sehr häufig nach Geldwert gar nicht abschätzen. Ich werde nicht als Vizekönig nach Irland gehen, also beruhigen Sie sich.

Ich bin nicht der Meinung, daß eine Reise zur Auswanderung verpflichtet, noch daß sie das Recht gibt, derartiges zu beanspruchen. Man reist wegen seiner Gesundheit, zu seiner Belehrung, zu seinem Vergnügen: nur von Kabinettskurieren kann man verlangen, daß sie reisen.

Der Brief an die Mutter der Könige und der Königsbankerte war schon in der Zeitung. Er beweist, wie töricht der Verfasser war, sich an die Spitze einer Partei zu stellen; mit allen seinen Zärtlichkeiten, schönen Phrasen und Mamas tat er sehr übel daran, nach der Admiralitätsinsel zu gehen, wo er nichts zu suchen hatte. Er mußte in seine Bettgasse gehen, um sich zur Ruhe zu legen, oder auf seine Toilette, um seine Angst auszup.... Was für ein Jahrhundert! Was für Papphelden! Und Sie lieben den Heroismus! Guten Abend! Ich bin wütend auf alle gegenwärtigen und künftigen Helden. Ich liebe die toten; denn die fluchten wie Renegaten und sagten nicht ›Mama‹, sondern Sch... Amen!


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