Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[11] An Frau von Epinay

Neapel, am 27. Tage d. J. 1770

Madame,

Ihr Brief vom 6. kommt eben an, und Sie überzeugen mich darin endgültig, daß die Würfel gefälscht sind, trotz allem, was der Baron sagt, der immer in seinem Leben Pasch wirft, während ich nur Einser werfe. Sehen Sie denn nicht klar, daß das einzige, was mich hierbei interessiert – nämlich meine armen hundert Louis – mit unerhörten, unbegreiflichen, unmöglich zu erklärenden Schwierigkeiten zu kämpfen hat? Schwören Sie also, Madame, ich schwöre ebenfalls. Gewisse Heilige wollen beschworen sein, sagte ein berühmter Gichtkranker.

Über die Widersprüche Panurgs wundere ich mich gar nicht. Das ist ein Mann, der das Herz im Kopfe und den Kopf im Herzen hat. Seine Vernunftschlüsse sind von Leidenschaft diktiert, seine Handlungen von Prinzipien. Darum liebe ich ihn von ganzem Herzen, obgleich ich meine Vernunftschlüsse anders ziehe, und er liebt mich ebenfalls über alle Maßen, weil er mich für einen kleinen Macchiavell hält. Übrigens glaube ich, daß sein Herz, das tugendhafteste und schönste der Welt, seinen Verstand mit fortreißen und daß er schließlich nicht mehr entgegnen und mich nur noch lieber haben wird. Er wird bei der zweiten oder dritten Lektüre des Werkes bemerken, daß der Chevalier Zanobi nicht ein Wort von all dem, was er sagt, glaubt oder denkt, daß er der größte Skeptiker und der größte Akademiker der Welt ist. Daß er an nichts glaubt, an nichts, nichts, nichts. Aber, bitte bitte, Madame, lassen Sie dieses Wort, das der Schlüssel des Geheimnisses ist, nicht verlauten! Warten wir ab, und vergnügen wir uns damit, zuzusehen, wie lange ich für Paris unverständlich bleiben werde und wie lange es sich über eine endlose Frage erhitzen wird. Grimm allein hatte mich sofort verstanden und erraten, daß das Buch keinen Schluß haben konnte; für die Maulaffen von Paris, die immer Schlüsse haben wollen, mußte er einen Schluß hinzufügen. Übrigens ist das Buch recht wohl das Buch eines Philosophen, und ein solches allein ist fähig, einen Philosophen und Staatsmann heranzubilden, d. h. einen Menschen, der den Schlüssel zum Geheimnis besitzt und weiß, daß das All schließlich zu Null wird. Der Abbé Raynal sagt mit vollem Recht, daß das Werk tief sei. Es ist höllisch tief, denn es ist hohl und nichts drunter. Diejenigen, welche sagten, daß die Prinzipien darin allzusehr herumverstreut wären, haben das vollendetste Lob des Dialogs ausgesprochen; aber ›Gespräche‹ sind in Paris eine fast unbekannte Stilart. Wer sich die Mühe macht, meine Ideen miteinander zu verknüpfen, wird vielleicht den Zweck des Werkes erraten. Sie haben mir den ersten Erfolg der Grenadiersalve der ersten Reihe mitgeteilt. Ich erwarte begierig den Lärm der Trainsoldaten der Armee, der diabolisch sein wird. Aber teilen Sie mir auch ja mit, wie Voltaire darüber denkt.

Sie werden sicher ein Exemplar in meinem Namen an meinen lieben Fürsten von Sachsen-Gotha schicken. Veranlassen Sie meine Freunde, die das Werk gelesen haben, mir zu schreiben. Diesmal will ich gern die Portokosten bezahlen.

Noch eins: da man den Verfasser kennt, so schmeichle ich mir damit, daß Sie sicher meinen Freunden gesagt haben werden, unter wie traurigen Umständen dies unglückliche Kind empfangen wurde und vorzeitig zur Welt kam. Ich weiß selbst nicht, was es ist, aber ich konnte es nicht ein einziges Mal kalten Blutes lesen. Ich hatte das Originalmanuskript in Ihren Händen gelassen, und so weiß ich nichts mehr davon. Das geht das Publikum nichts an, aber ich hoffe, daß es meine Freunde mit mehr Duldsamkeit lesen werden; denn hoffentlich ruft ihnen die Lektüre die Erinnerung an den Ton meiner Stimme, meine Art zu sprechen, meine Gebärden zurück, und mehr verlange ich nicht. Liebhaben soll man mich, zum Henker, das verdiene ich in jeder Weise; denn es wird lange dauern, bis man in Paris einen liebenswürdigeren Fremden sieht als mich!...

An eine zweite Auflage ist ja nicht zu denken, wenn die erste nicht verkauft wird. Falls sie aber doch verkauft werden sollte, so möchte ich der zweiten Ausgabe einen Dialog hinzufügen, worin das System der Lagermagazine – wodurch einzig und allein der Getreidehandel in Frankreich möglich zu machen wäre – auseinandergesetzt wird. Und da ich immer von Geld träume, so wird mir der Buchhändler 25 Louis für diesen neuen Dialog zahlen. Aber – werden Sie mir sagen – können Sie denn fern von Paris Dialoge verfassen? Nein, allerdings nicht. Ich befinde mich hier in einem unbegreiflichen Zustand trauriger Niedergeschlagenheit. Meine Reise nach dem Kongo ist unausführbar. Man macht mir dafür hier den Vorschlag, nach der Insel Kuba zu gehen. Das ist nicht mein Weg, antworte ich traurig. Wissen Sie, was ich jetzt tue? Ich beschäftige mich ernstlich damit, alle meine kleinen Jugendarbeiten zu ordnen, um sie unter dem Namen Juvenilia drucken zu lassen. Sie sind alle italienisch geschrieben. Es sind Abhandlungen, Verse, Prosa, Altertumsforschungen, abgerissene Gedanken. Das alles ist freilich sehr jugendlich. Aber es ist von mir.

Leben Sie wohl, meine unvergleichliche Dulcinea. Nicht wahr, Sie haben mich lieb?


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