Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[165] An Frau von Epinay

Neapel, den 12. Oktober 1776

Sie zanken mich aus, weil ich Ihnen keine Antwort über die Vervollkommnungsfähigkeit der Tiere und die der Gewerbe in den Händen der Ökonomisten gegeben habe. Wenn Sie wüßten, in welche gänzliche Entkräftung des Geistes, des Geschmacks und des geistigen Lebensgefühls ich geraten bin, würden Sie mich bedauern, anstatt mich auszuzanken:

Erstens: Die Angelegenheiten meiner Nichten sind noch nicht in Ordnung; und mit einer Undankbarkeit, die beispiellos ist, prozessiert der Gatte einer meiner Nichten gegen mich.

Zweitens: Der arme Militerni, der in Frankreich gedient hatte und mir behilflich war, mich an Paris zu erinnern, liegt im Sterben, und es besteht keine Hoffnung, daß er von seiner Wassersucht aufkomme.

Das ist nicht alles: ich habe ein Pferd verloren, und meine Angorakatze siecht hin. Soll ich unter solch niederdrückenden Umständen mit Ihnen über Politik und Metaphysik schwatzen?

Übrigens möchte ich Ihnen, da Sie es wünschen, über die Tierfrage bemerken, daß man meiner Ansicht nach damit anfängt, das sehr Zweifelhafte für erwiesen zu halten. Wir glauben, daß alles, was die Tiere können, dem Instinkt entspringt und nicht der erworbenen Überlieferung. Gibt es exakte Naturforscher, die behaupten, daß die Katzen vor dreitausend Jahren Mäuse fingen, ihre Jungen aufzogen und die heilende Kraft gewisser Gräser, oder besser des Grases, kannten, wie heutzutage? Wenn man dies nicht weiß, warum hält man das, was in Frage steht, für erwiesen, und räsoniert man bis in die Unendlichkeit hinein über eine falsche oder zweifelhafte Tatsache? Meine Untersuchungen über die Gewohnheiten der Katzen haben in mir den sehr starken Verdacht erweckt, daß sie vervollkommnungsfähig sind, aber erst im Verlaufe einer langen Reihe von Jahrhunderten. Ich glaube, alles, was die Katzen können, ist das Werk von vierzig- oder fünfzigtausend Jahren. Eine Naturgeschichte gibt es erst seit einigen Jahrhunderten. Daher ist die Veränderung, die mit ihnen während dieser Zeit vorgegangen ist, unmerklich. Auch die Menschen haben eine unendliche Zeit mit ihrer Vervollkommnung verbracht; denn die Stämme Kaliforniens oder Neuhollands, die ein Alter von drei- oder viertausend Jahren haben, sind heute noch wahre Tiere. Die Vervollkommnung hat zuerst große Fortschritte in Asien gemacht, wie man behauptet, vor mehr als zwölftausend Jahren. Und Gott weiß, wie lange Zeit vorher man sich in vergeblichen Bemühungen erschöpfte. Wenn eine asiatische Rasse nicht nach Europa oder Afrika eingewandert und aus Europa nicht nach Amerika hinübergeraten wäre, von wo aus sie die Weltkugel umspannte, wäre der Mensch noch der mutwilligste, listigste und geschickteste Affe: die Vervollkommnungsfähigkeit ist nicht eine Gabe des ganzen Menschengeschlechtes, sondern der einzigen weißen und bärtigen Rasse. Durch Rassenmischung haben die braune bärtige Rasse, die braune Rasse ohne Bart und die schwarze Menschenrasse etwas gewonnen. Alles, was man über den Einfluß des Klimas vorbringt, ist eine Dummheit; ein non causa pro causa, der gewöhnlichste Irrtum in der Logik. Die Rasse ist alles; die erste, die edelste der Rassen kommt natürlich aus dem Norden Asiens. Die Russen sind ihre nächsten Verwandten, und dies ist der Grund, weshalb sie in fünfzig Jahren größere Fortschritte gemacht haben, als man den Portugiesen in fünf Jahrhunderten beibringen kann. Haben Sie genug für heute abend? Haben Sie mich lieb; bedauern Sie mich von Herzen und halten Sie mich noch herzlicher für den Ihrigen.


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