Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[93] An Frau von Epinay

Neapel, den 11. April 1772

Anbei das Erzeugnis einer durchwachten und schlecht angewandten Nacht und die Wirkung Ihrer Nr. 89. Ich hatte das Bedürfnis, mich stark zu beschäftigen, um den Kummer, die Wut und den Ärger über eine Unbedachtsamkeit Magallons los zu werden, die mich vielleicht außer den Verdrießlichkeiten, der Lächerlichkeit und der Beleidigung noch 200 Livres in bar kosten wird. Ich bitte Sie recht sehr, prügeln Sie ihn tüchtig, wenn Sie ihn sehen, ohrfeigen Sie ihn sogar! Er kann sich noch glücklich schätzen, daß ich eine so schöne Hand wähle, mich zu rächen.

Ich habe nicht die Kraft gehabt, meinen Dialog abzuschreiben, und habe mir daher von meinem Kopisten helfen lassen; da dieser niemals französisch geschrieben hat und kein Wort davon versteht, hat er ganze Wörter ausgelassen...

Nicht Sie sind an Magallons törichtem Streich schuld, obwohl die Bücher, die er mir geschickt hat, von Ihnen stammen. Sondern er will nach drei Jahren durchaus noch nicht die Lage begreifen, in der wir uns befinden. Ist es möglich, daß er so einen harten Kopf hat? Ist er wirklich so dumm? Bitte, prügeln Sie ihn! Die Wut kommt wieder über mich!

Gespräch über die Frauen von Galiani

Marquis: Wie definieren Sie also die Frau?

Chevalier: Ein Geschöpf, das von Natur schwach und krank ist.

Marquis: Ich gebe zu, daß sie oft beides sind, aber ich bin überzeugt, das ist eine Wirkung der Erziehung, des ganzen Systems unserer Sitten, und hat ganz und gar nichts mit der Natur zu tun.

Chevalier: Marquis, es gibt auf der Welt mehr Natur, und es findet weniger Verletzung der Natur statt, als Sie glauben: man ist, was man sein muß. Es ist mit den Menschen nicht anders als mit den Tieren. Die Hautfalten sind von Natur da; Erziehung und Gewohnheit machen die Schwiele. Sehen Sie sich die Hände eines Arbeiters an: Sie sehen in ihnen das Bild der Natur.

Marquis: Ein häßliches Bild! Nach Ihnen soll also die Natur die Frauen schwach geschaffen haben. Und die Weiber der Wilden?

Chevalier: Die sind ebenfalls schwach.

Marquis: Doch nicht alle, wie mir scheint.

Chevalier: Ich gebe zu, daß eine Wilde mit ihrem Stock vier von unseren Gardekavalleristen verprügeln würde; aber beachten Sie, daß der Wilde mit seiner Keule zwölf niederstrecken würde: also bleibt das Verhältnis immer das gleiche. Es bleibt stets wahr, daß die Frau von Natur schwach ist; man bemerkt dieselbe Ungleichheit bei mehreren Arten von Tieren. Vergleichen Sie den Hahn mit den Hennen, den Stier mit den Kühen. Die Frau ist um ein Fünftel kleiner als der Mann und fast um ein Drittel weniger stark.

Marquis: Welche Schlüsse ziehen Sie also aus dieser Definition?

Chevalier: Daß diese beiden charakteristischen Zeichen, Schwäche und Krankheit, uns den allgemeinen Ton, die wesentliche Farbe für den Charakter des weiblichen Geschlechtes angeben. Wenden Sie diese Theorie im einzelnen und kleinen an, und Sie erklären alles damit. Vor allen Dingen wird ihre Schwäche die Weiber verhindern, sich allen jenen Berufen zu widmen, die einen gewissen Grad von Kraft und viel Gesundheit erfordern, zum Beispiel dem Beruf des Schmiedes, des Maurers, des Seemanns, des Kriegers....

Marquis: Sie glauben, die Frauen wären nicht zum Kriegsdienst tauglich? Ich glaube, sie würden sich gut schlagen.

Chevalier: Das glaube ich auch; aber sie würden nicht biwakieren. Sie haben den Mut, der Gefahr die Stirn zu bieten; sie haben nicht die Kraft, die Strapazen zu ertragen. Marquis: Das wäre wohl möglich; das Menschentöten ist ein anstrengender Beruf. Als ich ihn ausübte, kam es mir immer vor, als kostete es viel Mühe, seinen Feind zu töten. Wenn Sie aber den Frauen Mut zubilligen, so werden Sie auch einräumen müssen, daß sie Kraft haben. Chevalier: Keineswegs; ein Sterbender kann wohl Mut haben, ohne die geringste Kraft zu besitzen. Wissen Sie, was der Mut ist?

Marquis: Nun?

Chevalier: Die Wirkung einer ganz großen Furcht. Marquis: Wenn das kein Paradoxon ist, will ich auf der Stelle tot sein!

Chevalier: Nennen Sie's Paradoxon, soviel Sie Lust haben; deshalb ist es doch nicht weniger wahr. Man läßt sich mutig ein Bein abschneiden, weil man eine sehr große Furcht hat, man werde sterben, wenn man es behält. Ein Kranker schluckt ohne Widerstreben eine Medizin hinunter, die ein gesunder Mensch niemals einnehmen würde; man stürzt sich in die Flammen, um seine Geldkiste zu retten, weil man eine sehr große Furcht hat, sein Geld zu verlieren; wenn man gleichgültig dagegen wäre, würde man sich nicht der Gefahr aussetzen.

Marquis: Aber wenn diese Wirkungen ihren Ursachen entsprechen, so wird also der Mut, genau wie die Furcht, nichts weiter sein als eine Krankheit der Einbildungskraft? Chevalier: Außerordentlich richtig! Darum haben auch Weise niemals Mut, sie sind vorsichtig und maßvoll; mit anderen Worten: feige. Im großen und ganzen haben nur Narren Mut. Gestatten Sie mir hinzuzufügen, daß die Franzosen die mutigste Nation der Welt sind?

Marquis: Nach den indischen Maratten, wenn's Ihnen recht ist. Sie können ein Lob auf meine Nation nicht boshafter anbringen; aber man kennt Sie ja; man weiß, was an Ihnen ist.

Chevalier: Schönsten Dank. Ich behaupte also: die Frau ist schwach in der ganzen Anlage ihrer Muskeln: daher ihr häusliches Leben, ihre Anhänglichkeit an den Mann, der für ihren Unterhalt sorgt, ihre Beschäftigung, ihr Handwerk, ihre leichte Bekleidung usw.

Marquis: Und warum stellen Sie sie als ein krankes Geschöpf hin?

Chevalier: Weil sie es von Natur ist. Zunächst ist sie, wie alle Tiere, krank, bis sie vollkommen ausgewachsen ist. Dann treten die an der ganzen Klasse der Zweihänder so wohlbekannten Symptome ein: daran ist sie, eins ins andere gerechnet, monatlich sechs Tage krank, und das macht zum mindesten ein Fünftel ihres Lebens aus. Dann kommen Schwangerschaft und Kindernähren, zwei recht unbequeme Krankheiten, wenn man es recht nimmt; sie haben also nur Gesundheitspausen während einer beständigen Krankheit. Dieser beinah andauernde Zustand wirkt auf ihren Charakter ein; sie sind anschmiegend und entgegenkommend wie fast alle Kranken; manchmal aber auch schroff und launisch – wie die Kranken, leicht zu erzürnen, leicht zu besänftigen. Sie suchen Zerstreuung und Unterhaltung; ein Nichts amüsiert sie – wie die Kranken. Stets ist ihre Phantasie angeregt: Furcht, Verzweiflung, Hoffnung, Begierde, Abscheu folgen schneller aufeinander als beim Mann, üben eine stärkere Wirkung auf ihr Hirn und verschwinden auch schneller. Sie lieben, lange Zeit zurückgezogen zu sein und zwischendurch einmal fröhliche Gesellschaft zu haben – wie die Kranken. Wir pflegen sie, wir werden mit ihnen gerührt; ihre echten und falschen Tränen gehen uns zu Herzen; wir haben Teilnahme für sie, wir suchen sie zu zerstreuen, aufzuheitern; dann lassen wir sie wieder lange Zeit allein in ihren Zimmern. Dann suchen wir sie wieder auf, liebkosen sie und....

Marquis: Sprechen Sie das Wort nur aus! Bleiben Sie nicht auf bestem Wege stehen!

Chevalier: Ja, wir suchen sie zu heilen, indem wir ihnen vielleicht eine neue Krankheit zufügen.

Marquis: Fügen Sie hinzu, daß Sie darüber nicht böse sind, sondern es in Geduld hinnehmen, wie Kranke, die man pflegt, oder bei denen man Ätzmittel anwendet.

Chevalier: Sie lassen sich's gefallen, gerade wie die Kranken, weil sie glauben, daß alles zu ihrem Besten geschieht, und daß sie sich besser danach befinden.

Marquis: Aber wenn die Zeit aller dieser Gefahren und Wagnisse vorbei ist?

Chevalier: Dann sind sie allerdings nicht mehr krank, das gebe ich zu. Aber dann sind sie auch so gut wie nicht vorhanden, das werden Sie auch zugeben.

Marquis: Wissen Sie, Chevalier, Sie können mir lange vorreden, die Frauen seien ihrem Wesen nach krank; das will mir nicht in den Kopf hinein. Wenn für Ihre Zwecke die Neapolitanerinnen durchaus krank sein müssen, so will ich das zugeben, um Ihnen gefällig zu sein. Aber von den Pariserinnen kann ich es nicht zugeben. Gehen Sie ins Vauxhall, auf den Opernball und sehen Sie sich mal diese Kranken an, die den Teufel im Leibe haben. Sie tanzen ganze Nächte durch und: machen zehn Tänzer müde; sie wachen einen ganzen Karneval hindurch und ziehen sich nicht die geringste Erkältung zu. Und die nennen Sie krank?

Chevalier: Mein lieber Marquis, Sie machen mir Einwendungen mit meinen eigenen Gründen. Gerade all das, was Sie da sagen, beweist, daß wir Männer mit unseren Verstandesgaben die Natur der Weiber nicht besser verstehen und definieren können, als indem wir sie »Kranke« nennen, weil sie im gewöhnlichen Zustand vollkommen so sind wie wir in krankem. Haben Sie nicht beobachtet, daß vier Männer kaum genügen, um einen Kranken festzuhalten, der Krämpfe hat oder tobsüchtig ist? Wer von der Tarantel gestochen ist, hat mehr Kraft zum Tanzen als ein Gesunder. Diese ungleiche, übermäßig unbeständige Kraft ist gerade ein Krankheitssymptom und eine Wirkung der ungeheueren Erregung der Nerven, die durch eine erhitzte Phantasie überreizt sind. Die Nervenspannung kommt der natürlichen Schwäche der Fibern und Muskeln zu Hilfe. Darum brauchen Sie nur die Phantasie auszuschalten, und alles ist aus. Jagen Sie die Musikanten fort, löschen Sie die Kerzen aus, nehmen Sie die Lust fort, und die ewigen Tänzerinnen können keine dreißig Schritte zu Fuß machen und kommen völlig erschöpft zu Hause an; sie müssen Wagen und Tragstühle haben, selbst wenn sie nur die Straße zu überschreiten brauchen.

Marquis: Sie schlagen mich, wie gewöhnlich, weil es so Gottes Wille ist. Trotzdem fühle ich mich von dem, was Sie sagen, ganz und gar nicht überzeugt und glaube kein Wort davon. Ich glaube wohl, daß Sie recht haben, so wie die Dinge jetzt stehen; aber mir scheint dies alles eine Wirkung der Verderbnis zu sein und keineswegs dem natürlichen Zustand zu entsprechen. Wenn man die Natur gewähren ließe und nicht unaufhörlich ihre Ansichten durchkreuzte, würden die Frauen uns gleichwertig sein, mit dem Unterschiede, daß sie zarter und lieblicher wären.

Chevalier: Marquis, Scherz beiseite: glauben Sie, daß es auf der Welt eine Erziehung gibt?

Marquis: Oh, dieses Paradoxon ist aber doch zu stark! Ich rate Ihnen freundschaftlich, es etwas zu mildern, es ein wenig einzuschränken oder, wenn Sie wollen, es zu »erklären« – dieses Wort in dem Sinne von »zurücknehmen« verstanden, wie bei den königlichen Erklärungen, die »zur Auslegung vorher erlassener Verfügungen« dienen. Chevalier: Ich habe Achtung vor Ihren Ratschlägen; man kann sie befolgen, denn ich habe mich stets wohl dabei befunden. Ich werde also »erklären«; Sie werden sehen, ob ich »zurücknehme« oder nicht. Man hat viel von »Erziehung« gesprochen, man hat Bände darüber geschrieben, und wie üblich ist das Gebiet überhaupt erst urbar zu machen, das Buch darüber noch ungeschrieben. Dreiviertel von den Wirkungen der Erziehung sind nichts weiter als die Natur selbst: eine Notwendigkeit, ein organisches Gesetz unserer Rasse, eine Wirkung unserer mechanischen Konstitution. Nur ein Teil der Erziehung hängt nicht vom Instinkt ab, hat weder mit der Natur noch mit unserer Anlage etwas zu schaffen und ist nur dem Menschengeschlecht eigentümlich; aber nicht von diesem Teil rührt die Verschiedenheit zwischen Mann und Frau her. Also habe ich recht.

Marquis: Wie? Sie sagen, die Erziehung sei ein Instinkt?

Chevalier: Ja, natürlich. Alle Tierrassen haben ihre Erziehung: die einen erziehen ihre Jungen zur Jagdr andere zum Schwimmen, noch andere dazu, daß sie ihre Feinde, ihre Beute und die Nachstellungen erkennen, mit denen man sie verfolgt. Der Mann und das Weib erziehen in gleicher Weise instinktmäßig ihre Kinder: sie richten sie ab, daß sie gehen, essen, sprechen; sie schlagen sie und prägen ihnen den Begriff: der Unterwerfung ein; dadurch schaffen sie, die Rute in der Hand, die Grandlage des Despotismus: Furcht. Sie putzen sie mit allerlei Tand heraus und errichten so das Gebäude der Monarchie: durch Ehre und Eitelkeit. Sie küssen sie, liebkosen sie, spielen mit ihnen, verzeihen ihnen ihre kindlichen Streiche, sprechen vernünftig mit ihnen und erwecken dadurch in ihnen die republikanischen Ideen der Tugend und der Familienliebe, die sich dann in Vaterlandsliebe wandelt.

Marquis: Sie schließen sich, wie ich sehe, ganz genau der Einteilung und dem System Montesquieus an.

Chevalier: Alle Moral ist ein Instinkt, lieber Freund, und nicht die Wirkung der Erziehung verändert und verschlechtert die Natur oder durchkreuzt ihre Absichten. Das bilden Dummköpfe sich ein. Im Gegenteil, alles ist Wirkung der Natur selber, die uns auf diese Erziehung hinweist und uns antreibt, diese Erziehung zu geben, die nur eine Weiterentwicklung der Natur ist.

Marquis: Aber was ist denn das für ein Teil der Erziehung, der weder von der Natur noch vom Instinkt abhängt und ausschließlich uns Menschen eigentümlich ist?

Chevalier: Die Religion.

Marquis: Ah, ich verstehe: man nennt sie übernatürlich, weil sie außerhalb der Natur steht.

Chevalier: Die Natur hat uns nicht einmal einen Hinweis auf die Religion gegeben; wir haben keine religiösen Instinkte. Die Religion ist keiner einzigen Gattung von Tieren eigentümlich. Sie ist ein Geschenk, das wir ganz und gar nur der Erziehung verdanken, und ein Mensch, der gar nicht erzogen wäre, hätte ganz gewiß gar keine Religion; ich berufe mich auf die wilden Menschen, die man in europäischen Wäldern gefunden hat. Tatsächlich unterscheidet nur die Religion den Menschen vom Tier; sie ist das Unterscheidungsmerkmal unserer Art. Statt den Menschen als ein »vernünftiges Tier« zu definieren, sollte man ihn ein »religiöses Tier« nennen. Alle Tiere sind vernünftig; der Mensch allein ist religiös. Moral, Tugend, Gefühl sind ein Instinkt in uns. Der Glaube an ein unsichtbares Wesen ist nicht instinktmäßig.

Marquis: Sie erinnern mich an einen Schriftsteller, der zum Beweis, daß der Elefant ein vernünftiges Wesen sei, erzählte, man sehe ihn dem Monde eine Art Gottesdienst erweisen; denn an den Tagen des Neumondes und des Vollmondes gehe er andächtig in den Fluß, um seine Waschungen vorzunehmen.

Chevalier: Ich glaube nicht, daß der Elefant einen Gottesdienst hat. Aber wenn Sie sehen, daß ein Tier von irgendwelcher Gestalt: ein Nashorn oder eine Schildkröte oder ein Äffchen oder ein Orang-Utang, sich eine Vorstellung von unsichtbaren Ursachen macht, so können Sie wetten, daß dieses Tier ein Mensch ist oder in der dritten Generation ein Mensch werden wird.

Marquis: Worin besteht denn nach Ihnen das Wesen dieser religiösen Idee?

Chevalier: In dem Glauben an das Vorhandensein eines oder mehrerer Wesen, die durch keinen unserer Sinne wahrzunehmen sind, die unsichtbar, unfaßbar und doch die Ursache gewisser Erscheinungen sind. Marquis: Und die Tiere glauben nicht an so etwas? Chevalier: Nein; wenigstens zeigen sie es uns auf keine Weise. Das Tier sieht den Orkan kommen, es hat Furcht, versteckt sich und wartet, bis er vorüber ist. – Der Mensch sieht den Orkan, stellt sich vor, es gebe ein unsichtbares Wesen, das ihn hervorrufe, und glaubt schließlich, wenn er dieses Wesen besänftige, habe er ein Mittel geigen Stürme. Dies ist die allgemeine Begriffsbestimmung der Religion, und zwar umfaßt sie die wahren wie die falschen Religionen; aber ich will auf die Weiterentwicklung dieser Idee nicht eingehen. Immerhin will ich gegen jeden Freigeist zu behaupten wagen, daß alles, was uns vom Tier unterscheidet, nur eine Wirkung der Religion ist. Politische Gesellschaft, Regierung, Luxus, Ungleichheit der Stände, Wissenschaften, abstrakte Ideen, Philosophie, Mathematik, schöne Künste – mit einem Wort: alles verdankt seinen Ursprung diesem Unterscheidungsmerkmal unserer Art.

Marquis: Ich wollte Sie noch fragen, ob wir bei dieser Vorstellung von unsichtbaren Ursachen gewonnen oder verloren haben, ob es eine wahre Religion neben den falschen Religionen gibt, ob die wahren und die falschen gleich gut oder gleich schlecht sind. Ich wollte Sie fragen, woher denn nur, und aus welcher Urquelle, diese religiöse Idee uns kommen konnte, die nicht instinktmäßig ist, die nur durch eine besondere Erziehung sich in uns bildet, die für uns dasselbe ist wie die Reitschule für das Pferd; denn diese Reitschule ist für das Pferd eine Erziehung, die mit der ihm von seiner Mutter, der Stute, gegebenen nichts gemein hat. Aber ich werde Sie nach nichts mehr fragen; denn indem Sie den Menschen als ein »religiöses Tier« definieren, machen Sie mir den Eindruck, als wollten Sie sehr religiös sein.

Chevalier: Oder auch sehr dumm. Ich mußte wählen: ich habe es vorgezogen, Mensch zu sein. Das ist reine Geschmackssache. Ich weiß wohl, Rousseau hätte anders gedacht; er zieht es vor, auf allen Vieren zu laufen und läuft einstweilen in langen Unterhosen herum. Das ist nun mal sein Geschmack. Aber Sie haben unsern Ausgangspunkt aus dem Gesicht verloren. Sie werden mir zugeben, daß die Erziehung im eigentlichen Sinn des Wortes, das heißt die Idee der Religion und des Gottesdienstes, auf die Verschiedenheit des weiblichen Geschlechtes von dem unsrigen keinen Einfluß haben kann, da sie uns allen, Männern wie Frauen, gemeinsam ist. Die Frauen haben ebensoviel Religion wie wir.

Marquis: Ebensoviel! Ich. glaube, sie haben mehr.

Chevalier: Und ich glaube, Sie haben weder mehr noch weniger. Im großen und ganzen läuft es auf folgendes hinaus: wenn sie eine größere Portion Religion haben, so geben wir unserm Teil eine größere Entwicklung. Die Wirkungen bleiben die gleichen.

Marquis: Haben Sie das eben erschienene Buch von Thomas über die Frauen gelesen?

Chevalier: Nein.

Marquis: Er sagt nichts von dem, was Sie gesagt haben.

Chevalier: Wissen Sie auch, warum?

Marquis: Nein, allerdings nicht!

Chevalier: Weil ich nichts von dem sage, was er sagt.

Marquis: Das scheint mir klar zu sein. Ach, wie schade, daß ich Sie verlassen muß. Es tut mir recht leid, aber ich habe so viel zu tun.

Chevalier: Bleiben Sie; es wird auch ohne Sie fertig.

Marquis: O nein! Ich muß unbedingt auf die Quais, um Porträts berühmter Männer zu vierundzwanzig Sous das Stück zu kaufen, Porträts, die gar nicht schlecht sind, das schwör' ich Ihnen. Sie sollen meine Sammlung vervollständigen; ich weiß allerdings noch nicht, wo ich sie unterbringen soll; aber daran werde ich denken, wenn ich sie nur erst habe. Adieu!

Chevalier: Meinen Glückwunsch zu dieser Neuerwerbung; aber mir scheint, Sie bezahlen diesmal mehr als für gewöhnlich. Sie richten sich zugrunde, Marquis!

Marquis: Man muß doch etwas zu seiner Ergötzung haben. Nochmals Adieu! Leben Sie wohl.

Chevalier: Adieu, Freude meines Herzens.


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