Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[50] An Frau von Epinay

Neapel, den 13. Dezember 1770

Schöne Frau,

Sie haben richtig über mein Herz geurteilt, indem Sie annahmen, daß ich voll Kummer sei. Weil jedoch die Briefe vom 18. November nicht so niederdrückend waren, als ich fürchtete, beeile ich mich,, Ihnen zu antworten, aus Furcht, mir könnte morgen irgendeine traurige Nachricht zukommen, die mich außerstand setzte, etwas zu tun und an jemand zu schreiben! Für die andern Freunde habe ich eine schreckliche Migräne bei der Hand, die mich sicher entschuldigt...

Ich bin entzückt über das, was Ihnen Voltaire schickte: ich habe eine Nacht und einen ganzen Tag damit verbracht, Dieu et les hommes zu lesen und wieder zu lesen, um mir alle andern Gedanken abzuschütteln. Ich finde, daß die Frommen vollkommen recht haben, wenn sie sagen, daß Voltaire den Tod fürchtet: nichts ist so wahr. Er fürchtet zu sterben, ehe er alles gesagt hat, und er beeilt sich, alles zu sagen und seine letzte Patrone abzufeuern: aber er verschießt sein Pulver nicht auf Spatzen und Dompfaffen, sondern den Pfaffen gelten seine Schüsse. Kurz, indem er seine Ansichten äußerte und immer wiederholte, indem er halbe Andeutungen machte und sich klar ausdrückte, hat Voltaire vielen Leuten seine Meinungen nahegebracht, und um ganz mit ihnen übereinzukommen, braucht er ihnen nur zu sagen, daß das, was zu sagen übrig bleibt, überhaupt nicht dazu angetan ist, gesagt zu werden. Ich bin ja nur ein armer verunglückter Nationalökonom, der nur Brot hat statt Suppe und von seinen Abteien leben muß. So mischen Sie mich denn ja nicht mit der großen boulangerie zusammen, ich gehöre nur zu der kleinen. Inzwischen habe ich mit großem Erstaunen in der Gazette de France vom 9. November gesehen, daß man in Paris eine Arbeit von mir, die ich im Jahre 1754 italienisch schrieb, ins Französische übersetzt und veröffentlicht hat: und ich wette, daß nicht einmal mein Name genannt ist, daß Sie nichts davon wissen, und zwar Sie am allerwenigsten. Die Sache verhält sich so: Im Jahre 1726, noch ehe ich auf die Welt kam, erfand der Toskaner Bartolomeo Intieri, Schriftsteller, Geometer und Mechaniker ersten Ranges, einen Trockenapparat für Getreide. Im Jahre 1754 war er zweiundachtzig Jahre alt und fast blind. Ich wünschte, daß die Welt diese nützliche Maschine kennenlernte. Und so schrieb ich ein kleines Buch, betitelt: Della perfetta conservazione del Grano; und da ich niemals meinen Namen auf eins meiner Werke setzen wollte, so beschloß ich, daß es den Namen des Erfinders der Maschine tragen sollte; aber jedermann weiß, daß es von mir ist, und ich glaube, Grimm, Diderot, der Baron und vielleicht noch andere in Paris besitzen es, und kennen diese Geschichte ebensogut wie Abbé Morellet. Es freut mich sehr, daß es jetzt ins Französische übersetzt ist, um so mehr, als es dazu dienen wird, ein schreckliches und unehrenhaftes Machwerk, ein Plagiat eines gewissen Duhamel, zu entlarven, der sich die Erfindung dieser Maschine zuschreibt, während er doch nur die Zeichnungen neu stechen ließ, die mein Bruder dazu gemacht und ihm geschickt hatte... Nun, schöne Frau, habe ich das allergrößte Interesse daran, daß ganz Frankreich durch die Zeitungen erfahre, daß dieses Werk mir zugehört – was mir niemals bestritten worden ist. Hieraus wird erhellt, daß ich in Wahrheit der älteste all der Ökonomisten bin, da ich im Jahre 1749 mein Buch über das Geld, und im Jahre 1754 das übers Getreide schrieb. Die ökonomistische Sekte war zu jener Zeit noch nicht ins Leben getreten.

Da diese Tölpel mich für einen Eindringling und Neuankömmling in ihrem Schafstall ansahen, so bin ich sehr froh, wenn sie erfahren, daß ich das Recht hätte, sie da herauszujagen, und selber zu bleiben, wo ich seit zwanzig Jahren bin. Ich glaube, der Drucker wird nichts verlieren, wenn man erfährt, daß das Buch, das den Namen Intieri trägt, mir ebensosehr zugehört wie jenes, das unter dem Namen des Chevalier Zanobi erschien. Sollte bei dieser Gelegenheit irgendein Zeitungschreiber etwas von meiner literarischen Laufbahn sagen wollen, so teile ich Ihnen folgendes mit:

Am 2. Dezember 1728 bin ich geboren, im Jahre 1748 wurde ich durch einen poetischen Scherz und eine Trauerrede über den Tod unseres verstorbenen Henkers Dominique Jannacone, erhabenen Angedenkens, berühmt; 1749 veröffentlichte ich mein Buch über das Geld, im Jahre 1754 das vorhin erwähnte über das Getreide, 1755 schrieb ich meine Abhandlung über die Naturgeschichte des Vesuv; sie wurde mit einer Sammlung von Vesuvsteinen an den Papst Benedikt XIV. geschickt und ist niemals gedruckt worden; aber sie ist in Paris bekannt. Herr de Jussieu hat sie gesehen, und beim Baron kennen sie die ›Bäckergesellen‹. Im Jahre 1756 wurde ich zum Mitglied der Akademie von Herculanum ernannt, und ich arbeitete viel am ersten Band des Kupferstichwerkes. Ich verfaßte sogar eine große Abhandlung über die Malerei der Alten, die Abbè Armand gesehen hat. Im Jahre 1758 ließ ich die Trauerrede auf Papst Benedikt XIV. drucken (sie gefällt mir am meisten von allen meinen Arbeiten). Darauf wandte ich mich der Politik zu und habe in Frankreich mir Kinder erzeugt und Bücher, die nie das Tageslicht erblickt haben. Sie kennen meinen Horaz, und das Publikum kennt meine Dialoge. Es wäre noch eine schreckliche Liste von Manuskripten und fertigen Arbeiten da, die noch nicht veröffentlicht sind; aber ich denke ernstlich daran, mich damit so sehr wie Voltaire zu beeilen, denn ich fürchte den Tod wie er. Kurz und gut, ich empfehle Ihnen meine Ehre und meinen Ruhm.

Da man sich jetzt in Frankreich »für und gegen mich« aufregt, so ist es mir nicht unlieb, wenn man genau weiß, wer ich bin und daß ich nicht einem Affen allein und seinem Biß meine Berühmtheit verdanke. Man wird sehen, daß ich ein alter Schriftsteller und alter Nationalökonom bin; denn schon im Alter von neunzehn Jahren fing ich an, Bücher drucken zu lassen, und seit zweiundzwanzig Jahren schwatze ich durch die Presse und veröffentliche Bücher, um von der Presse loszukommen. Meine fertigen italienischen Manuskripte sind: eine Übersetzung des Werkes von Locke über das Geld, mit Anmerkungen; eine poetische Übertragung vom ersten Buch des Anti-Lukrez: einige Gedichte; eine Abhandlung über Riesen und Leute von außergewöhnlichem Wuchs; eine Abhandlung über die karthagischen Könige; mehrere Abhandlungen über gelehrte Themata und zwei oder drei Reden; eine Abhandlung über die Malereien von Herculanum, eine über den Vesuv; mein französischer Horaz etc.

Tausend Dank für den Auszug aus dem Journal des Provinces; ist er nicht von d'Alembert? Es scheint mir so. Tausend Grüße an Grimm und Diderot. Leben Sie wohl. – Fügen Sie der Liste meiner Werke noch den »Radau« hinzu. – Und Merlin? Zahlt er denn?


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