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Neapel, den 8. September 1770
Es lebe der himmlische Vater und mit ihm die langen Briefe! Die Dankbarkeit verlangt es eigentlich, daß ich ebenso lange schriebe. Aber als ich Suard antworten wollte, da hat meine Begeisterung mich fortgerissen, und ich schrieb die ernsteste Epistel und den längsten Brief, den ich jemals über Getreideangelegenheiten verfaßte. Ohne Zweifel wird er ihn Ihnen mitteilen. Für alle Fälle habe ich Abschrift davon behalten; machen Sie damit, was Sie wollen. Ich möchte wohl, daß Herr von Sartine ihn erhielte. Weiter habe ich keinen Ehrgeiz und keine Wünsche.
Der Brief an Suard hat mich müde gemacht, daher werde ich Ihnen heute abend sehr kurz schreiben und will nur ganz knapp auf Ihre Punkte antworten.
Da Sie mir die Satiren der Ökonomisten gegen mich geschickt haben, so schicken Sie mir doch auch, was gegen jene erschienen ist; das erheitert mir meine Augenblicke der Muße...
Ich muß Ihnen sagen, daß ein menschliches Gefühl mich veranlaßt hat, einer Frau monatlich zwölf Livres geben zu lassen, damit sie ein Kind erziehen kann, das ein unnatürlicher Vater verließ, nachdem er es leichtsinnigerweise in die Welt gesetzt hatte. Diese Frau heißt Madame de la Daubiniere, Rue St. Honoré, gegenüber dem kleinen Hotel Noailles. Gatti war Auszahler dieser Rente. Tun Sie mir den Gefallen, mit Gatti abzurechnen, und übernehmen Sie es, der Frau fortlaufend die Beisteuer zukommen zu lassen; sie wird zu Ihnen kommen, und ich empfehle sie Ihnen zugleich so warm, wie ich nur kann. Sie ist, nach Ihnen, für mich das Liebste, was ich in Paris zurückgelassen habe. Sie verdient ihr unglückliches Schicksal nicht, und sie verdient recht sehr Ihren Schutz. Ich bitte Sie, ihr jedesmal nur zwölf Livres zu geben, weil sie sonst in Versuchung kommen könnte, mehr auszugeben. Sie werden, wenn Merlin nicht verschwindet, für lange Zeit Geld genug für diese Zahlung zur Verfügung haben; hernach werden wir weiter sehen.
Also Monthyon ist der neue Intendant der Auvergne? Umarmen Sie ihn recht herzlich meinerseits. Sie haben recht, ihn sehr hoch zu achten: ich tue es auch, und es reut mich nicht. Bitten Sie ihn, Frau de Fourqueux und der ganzen Familie meine Empfehlungen auszurichten. Ich rede mir gerne ein, daß man mich in diesen Häusern noch lieb hat, trotz dem Geschrei der Ökonomisten gegen meine Dialoge. Was hat eine politische Meinungsdifferenz mit der Liebenswürdigkeit zu schaffen? Habe ich nicht den Absichten des Herrn Trudaine de Montigny volle Gerechtigkeit widerfahren lassen?...
Ich bin entzückt über d'Alemberts Reise. Nicht, daß ich allzu große Hoffnung hätte, ihn zu sehen. Er wird nicht hierherkommen, auch Herr de Trudaine nicht; aber ich bin sicher, daß es der einzige Entschluß war, den er fassen konnte, um seine durch die Eintönigkeit seiner Lebensweise zerrüttete Gesundheit wiederherzustellen.
Ich rechne auch nicht einmal auf den Baron von Gleichen. Gott weiß, ob er kommen wird! Die Kabinette Europas sind in solcher Unordnung!
Ich bitte Sie, ein Exemplar meiner Dialoge zu kaufen und es, eingebunden, als Geschenk von mir an Abbé Grimod, bei Herrn de la Reynière, zu senden.
Was die Bezahlung in Büchern anbetrifft, die Merlin anbietet, so würde ich, wenn er ihnen Exemplare meines Buches geben will, gerne bis zu hundert nehmen und würde nicht verlegen darum sein, sie abzusetzen.
Behalten Sie mich immer lieb. Ich schäme mich, daß ich Diderot noch nicht geantwortet habe; aber da ein Philosoph keine Zeitdauer kennt, so wird es kein früh oder spät für ihn geben.
Noch bebt mein Herz von Schrecken über die Schilderhebung der Geistlichkeit gegen das Système de la nature. Die Leute haben eine feine Nase. Sicherlich kennen sie den Verfasser oder sie vermuten ihn; sie werden ihn anzeigen, man wird ihn opfern. Das ist ein billiger Dienst in den Augen von Leuten, die eben sechzehn Millionen bezahlt haben. Gott schütze den Atheismus vor irgendwelcher betrüblichen Verfolgung; aber ich zittere. Leben Sie wohl. Behalten Sie mich lieb!