Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[61] An Frau von Epinay

Neapel, den 16. März 1771

Ich habe den Brief gelesen, der im Merkur abgedruckt werden soll. Er ist durchaus wahr; ich fürchte sogar, er enthält prophetische Wahrheiten. Man verspricht, den Schluß nach meinem Tode zu bringen, und damit die Ungeduld des Publikums befriedigt werde, wird dieser Schluß sehr bald erscheinen. Ja, Diderot wird mich überleben, alle meine Freunde werden mich überleben; ich werde zuerst von dannen gehen. Dieser Brief ist denn auch eine Lobrede auf einen Schriftsteller, der sich aus dieser Welt davongemacht hat, ohne seine Schreibmappe auszuleeren. Es ist mir nicht lieb, daß man mich vor dem Publikum des Macchiavellismus beschuldigt hat; das Publikum ist so dumm! Und ich bin noch nicht tot! Ebensowenig lieb ist es mir, daß man mir anonyme Bücher zuschreibt. Man wird glauben, ich hätte in Paris Satiren und Pamphlete gemacht. Die Ökonomisten sind so boshaft, und ich stelle sie durch meine überlegene Klarheit so sehr in den Schatten, daß man auf alle möglichen dunklen Umtriebe von ihrer Seite gefaßt sein muß. Da übrigens dieser Brief erst in Ihre Hände gelangen wird, wenn der Würfel bereits gefallen ist, so danken Sie dem Verfasser des Merkur-Briefes – wenn dieser nicht etwa von mir selber ist, was ich bezweifle – für alles Gute, was er so freundlich war über mich zu sagen. Ich möchte jedoch lieber gerächt als gelobt sein. Das eine ist das Vergnügen der Lebenden, das andere der Trost der Toten. Lassen Sie meinen »Radau« mit oder ohne Erlaubnis drukken! Man druckt so viele Sachen, die man verbieten müßte! Herr de Sartine ist immer auf meinen Lippen und seine Frau Gemahlin nicht weit davon. Küssen Sie den Herrn und versichern Sie seiner Gemahlin, daß Sie ihn in meinem Namen küssen.

Sie wollen mit mir nicht über öffentliche Angelegenheiten sprechen? Nun, so werde ich Ihnen davon sprechen und Ihnen zeigen, daß ich mehr darüber weiß als Sie, obgleich Sie in Paris sind und ich in Neapel bin. Sie werden sehen, daß ich die Zukunft kenne. Nostradamus sagt: der König wird nachgeben. Fast nichts von dem, was der Kanzler jetzt macht und anordnet, wird Dauer haben. Diese Unordnung wird lange dauern; schließlich wird jedoch der Absolutismus stärker werden denn je zuvor, und die Freiheit wird auf ewig verloren sein. Dies sind Behauptungen, die sich anscheinend sehr widersprechen; aber sie werden alle in Erfüllung gehen. Schlüssel zum Nostradamus: Die Käuflichkeit der Richterämter wird aufgehoben werden. Jedes Land, dessen Ämter nicht durch Wahl des Volkes besetzt werden oder erblich sind, ist ein Sklavenland. Frankreich hat keine Beamten mehr, die vom Volk erwählt werden, wie einst die Bischöfe, und es hat keine Barone oder Herzöge, die ins Parlament gehen. Wenn es von der Käuflichkeit der Ämter befreit wird, ist alles in Ordnung. – Da haben Sie einen kurzen, aber saftigen Brief!


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